Willkür und versuchte Rechtsbeugung im Prozess um Wohnraummiete; “Aus dem Hinweisbeschluss geht hervor, dass alle drei abgelehnten Richter beabsichtigen, sich von ihrer Bindung an Gesetz und Recht zu lösen und der angekündigten Entscheidung eine unvertretbare, willkürliche Rechtsauffassung zugrundelegen möchten”



Beteiligte Richter
Alexander Batschari (Richter am Amtsgericht Charlottenburg), Jörg Tegeder (Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin, 64. Zivilkammer), Dr. Thomas Babucke (Richter am Landgericht Berlin, 64. Zivilkammer), Dr. Eyske Harrack (Richterin am Landgericht Berlin, 64. Zivilkammer), Astrid Siegmund (Vorsitzende Richterin am Landgericht Berlin, 65. Zivilkammer), Meline Schröer (Vorsitzende Richterin am Landgericht Berlin, ehem. 63. Zivilkammer)

Bereitstellen einer Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, da noch nicht alle Kinder in den Brunnen gefallen waren, zumindest aber der halbe Kindergarten. Die Verfassungsbeschwerde beschreibt eindrucksvoll das erlittene Martyrium 1. und 2. Instanz. Das Berufungsverfahren ist gegenwärtig schwebend (Stand Sept. 2022). Gleiches gilt für die in 2. Instanz erhobene Widerklage.



Verfassungsbeschwerde

(Leseversion, teilweise geschwärzt)

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Highlights


“Der Amtsrichter hat eine Räumungsfrist mit der sarkastischen Bemerkung verweigert, dass die Bf. „aufgrund der herausragenden intellektuellen Fähigkeiten und der multiplen Hochbegabung, derer sie sich berühmt, sicher keine Schwierigkeiten haben wird schnell eine neue Unterkunft zu finden.

Den erstinstanzlich entscheidenden Amtsrichter hielt das Vorbringen der Bf. zur Unwirksamkeit der Vollmachtsurkunde jedoch nicht davon ab, die Bf. zu verurteilen, ihre Wohn- und Arbeitsstätte zu räumen.

Der Aufbringung eines Siegels auf der Vollmachtsurkunde habe es für die Wirksamkeit der Vollmacht nicht bedurft, weil das Zivilprozessrecht eine Siegelung der Prozessvollmacht nicht vorsehe. Das Kirchliche Verwaltungsamt habe lediglich die Funktion einer Hausverwaltung, die unterbliebene Mitwirkung sei unschädlich. Sein vorläufig vollstreckbares Urteil schloss der befangene Amtsrichter mit der bereits eingangs zitierten sarkastischen Bemerkung. Der befangene Amtsrichter verstieg sich ferner zu der haltlosen Feststellung, es habe keine provokativen oder rechtswidrigen Handlungen der Kirchengemeinde gegeben, die das Verhalten der Beklagten (Veröffentlichung von Teilangaben zu einer Privatanschrift) menschlich nachvollziehbar machen oder das Verschulden der Beklagten mindern könnten.

Zur Begründung der hiergegen von der Bf. eingelegten Berufung wiederholte und vertiefte ihr damaliger Prozessbevollmächtigter seinen erstinstanzlichen Vortrag zur fehlenden Vertretungsmacht der Pfarrerin und der daraus folgenden Unwirksamkeit der Vollmacht [...] Er wies nunmehr zusätzlich auf ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth aus dem Jahr 2008 hin, wonach die wirksame Erteilung einer Prozessvollmacht durch eine evangelische Kirchengemeinde (dort die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen) einen entsprechenden positiven Beschluss des Gemeindekirchenrates erfordere, der die Kirchengemeinde als Kollegialorgan vertrete. Dies hielt jedoch auch das Landgericht Berlin (Zivilkammer 64) nicht davon ab, das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO einzuleiten und mit Hinweisbeschluss vom 10. März 2022 anzukündigen, dass es beabsichtige die Berufung zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe, die Sache keine grundsätzliche Bedeutung habe, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordere und eine mündliche Verhandlung nicht geboten sei. Zum fehlenden Siegel führt der Beschluss lediglich aus, die Auffassung des Amtsrichters treffe zu. Auch sei es unerheblich, ob das Vorgehen der Pfarrerin durch eine Willensbildung des GKR gedeckt sei; auf den gegenteiligen Beschluss des LG Nürnberg-Fürth wird sonst nicht eingegangen. Die ständige ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung, aus der sich u. a. ergibt, dass das Fehlen der vorgeschriebenen Siegelung eine Überschreitung der Vertretungsmacht darstellt, wird im Hinweisbeschluss nicht erwähnt. Vier Kirchenvertreter werden in dem Beschluss als „Zeuge“ bezeichnet, obwohl sie nicht einmal als solche benannt wurden, ja teils wegen ihrer Parteistellung nicht einmal als solche geladen werden dürften.

Mit zeitgleich eingereichtem weiterem Schriftsatz wurden die Richter der Zivilkammer 64 wegen besorgter Befangenheit abgelehnt. Es wurden neun Ablehnungsgründe vorgetragen, die mit nach Eingang der dienstlichen Erklärungen teilweise vertieft wurden. Im Schwerpunkt wurde vorgebracht, dass die Richter es amtspflichtwidrig unterlassen hätten, die obergerichtliche Rechtsprechung zu ermitteln und zu beachten, was angesichts des weiteren Umstandes, dass die Bf. die Unwirksamkeit der Vollmacht zu ihrem zentralen Verteidigungsvorbringen erster und zweiter Instanz gemacht hat, eine unsachliche, nämlich mindestens gleichgültige und desinteressierte Einstellung befürchten lasse. Das für die Bf. erheblich nachteilige Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO sei selbst dann willkürlich, wenn man auf den – amtspflichtwidrig unzureichenden – Wissensstand der Richter abstellt, da sich dann aus ihrer Sicht hätte aufdrängen müssen, dass die von der Bf. aufgeworfenen Fragen zur Wirksamkeit der Vollmacht klärungsbedürftig waren.

Das Ablehnungsgesuch wiesen die Richter der Zivilkammer 63 als Kontrollgericht mit Beschluss vom 17. Mai 2022 (Anlage BF 2) zurück. Hiergegen legte die Bf. Anhörungsrüge ein, da die Kontrollrichter auf den im vorstehenden Absatz angeführten zentralen Ablehnungsgrund nicht eingegangen waren. [...] Am Tag darauf wurde der Bf. bekannt, dass die Vorsitzende der Zivilkammer 63, VRi’inLG Meline Schröer, langjährige Vorsitzende des Gemeindekirchenrates einer EKBO-Kirchengemeinde des Sprengels Berlin war und derzeit noch einfaches GKR-Mitglied ist.

Mit Urteil vom 8. September 2021 (Anlage BF 11 = GA Bd. II, Bl. 189 f., Bl. 192 ff.) gab das Amtsgericht der Räumungsklage statt. In der Urteilsbegründung geht RiAG Batschari auf den Vortrag der Bf. zur Unwirksamkeit der Vollmacht nur insoweit ein, als er ausführt, die Prozessvollmacht bedürfte nach § 80 ZPO lediglich der Schriftform, Siegel oder Ähnliches seien nicht erforderlich. Er ging weder auf die Frage der organschaftlichen Vertretungsmacht der Pfarrerin noch auf die Frage ein, inwiefern die von ihm angeführte prozessrechtliche Vorschrift für die mit der Vollmachtsurkunde ebenfalls beabsichtigte Bevollmächtigung zum Ausspruch der Kündigung des Mietverhältnisses relevant ist. Ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung zitiert er nicht. Eine Räumungsfrist versagte RiAG Batschari der Bf. mit der Begründung, dass „die Beklagte aufgrund der herausragenden intellektuellen Fähigkeiten und der multiplen Hochbegabung, derer sie sich berühmt, sicher keine Schwierigkeiten haben wird schnell eine neue Unterkunft zu finden.“ (Anlage BF 11, S. 6 unten) Mit dieser sarkastischen Verweigerung des gebotenen Räumungsschutzes gibt sich Amtsrichter Batschari als befangen zu erkennen.

In seinem Urteil findet sich auch die Aussage: „Provokative oder rechtswidrige Handlungen der Klägerin oder der Betroffenen, die geeignet wären eine solche Reaktion der Beklagten menschlich nachvollziehbar zu machen und das Verschulden der Beklagten zu mindern, sind nicht ersichtlich.“ (Anlage BF 11, S. 6 oben) Das ist gänzlich unzutreffend. Es ist mitnichten so, dass es für die Kritik der Bf. am Verhalten der Kirche und ihrer Vertreter keine Veranlassung gibt, dass dies auf Willkür und Verunglimpfungsabsicht beruht. So haben etwa die Recherchen der Bf. zur Aufdeckung baurechtswidriger Zustände bei den gemeindeeigenen Gebäuden geführt. Die Bauaufsichtsbehörde erkannte dank der Bf., dass sich das Hauptverwaltungsgebäude auf dem Luisenkirchhof III – einem anderen Kirchhof – längere Zeit in einem baurechtswidrigen Zustand befand, da ohne Bau- und Denkmalgenehmigung umgebaut wurde. Dies ist amtlich festgestellt worden (Gz. 350-2021-4943-Stadt I C 1, Bauaufsicht, Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf – die weitere Überprüfung dauert an).

Die Bf. leistete Sicherheit in Höhe von 10.000,00 EUR.

Mit Beschluss vom 10. März 2022 (Anlage BF 15 = GA, Bd. III, 85 ff.) wies das Landgericht Berlin – Zivilkammer 64 – die Parteien darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen, „weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Auf die entscheidungserhebliche Frage, ob die Widerbeklagte zu 1. mit Ausstellung der Vollmachtsurkunde IKB Fachanwälte auch wirksam bevollmächtigte, die Kündigung des Mietverhältnisses der Bf. mit der Widerbeklagten zu 2. auszusprechen, ging auch das Landgericht nicht ein.

Mit 24-seitigem Schriftsatz vom 5. April 2022 (Anlage BF 16) nahm GQL Rechtsanwälte unter Mitzeichnung von Hertin & Partner als weiterer Prozessbevollmächtigten zu dem Hinweisbeschluss Stellung. Sie wiesen darauf hin, dass es bereits seit RGZ 64, 408 (Jahr 1906) ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung entspreche, dass binnenrechtliche „Formvorschriften“ für Willenserklärungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften als Beschränkungen der Vertretungsmacht der für die Körperschaft handelnden Organe zu verstehen seien.

Mit demselben Schriftsatz vom 5. April 2022 wurde namens der Bf. Widerklage gegen Pfarrerin Anne Hensel, der nunmehrigen Widerbeklagten zu 1., erhoben (Anlage BF 16, S. 14 ff.). Mit der Widerklage wurde u. a. Schadensersatz für die zusätzlichen Anwaltskosten geltend gemacht, die der Bf. aufgrund des Hinweisbeschlusses vom 10. März 2022 zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstanden und noch entstehen.

Mit weiterem Schriftsatz vom 5. April 2022 (Anlage BF 17) lehnten GQL Rechtsanwälte die Richter der ZK 64 – VRiLG Tegeder, RiLG Dr. Babucke, RiLG Dr. Harrack – namens der Bf. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Für die Ablehnung wurden neun Gründe vorgetragen.

Die abgelehnten Richter gaben am 6. April 2022 dienstliche Stellungnahmen (Anlage BF 18) ab. Der VRiLG Tegeder erklärte u. a., er habe nicht von einer „seit über 100 Jahren bestehenden, ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung'' abweichen wollen. Ob die am 10. März 2022 erteilten Hinweise mit den in dem weiteren Stellungnahme-Schriftsatz der Bf. vom 5. April 2022 zitierten Entscheidungen unvereinbar sind, habe er bisher nicht geprüft; namentlich die Entscheidungen RGZ 64, 408 und BGHZ 32, 375 ff. seien ihm bisher jedenfalls nicht bekannt gewesen.

Die vom Landgericht im Hinweisbeschluss vertretene materielle Rechtsauffassung sei auch willkürlich. Die Zugrundelegung einer der Partei ungünstigen Rechtsauffassung rechtfertige zwar nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Die Annahme einer solchen Besorgnis komme aber dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung so grob fehlerhaft sei, dass sich bei vernünftiger und besonnener Betrachtungsweise der Eindruck der Voreingenommenheit gegenüber einer Partei aufdrängt (BGH, Beschluss vom 20. August 2021 – VI ZA 22/21 –, Rn. 4 m. w. N.).

Das Ablehnungsgesuch wurde durch die Zivilkammer 63 mit Beschluss vom 17. Mai 2022 (Anlage BF 2) zurückgewiesen (auf die Entscheidungsgründe gehen wir im Rechtsvortrag unter II. ein). Hiergeben erhob die Bf. mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 (Anlage BF 20) Anhörungsrüge, die u. a. darauf gestützt war, dass die vorgenannten Gesichtspunkte bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht in Erwägung gezogen wurden.

Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2022 (Anlage BF 21) lehnten GQL Rechtsanwälte namens der Bf. die Vorsitzende Richterin am Landgericht Meline Schröer, die Vorsitzende der Zivilkammer 63, wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil sie langjährige Vorsitzende eines Gemeindekirchenrates einer EKBO-Kirchengemeinde des Sprengels Berlin war und immer noch Mitglied dieses Gemeindekirchenrates ist. Dies lasse besorgen, dass die abgelehnte Richterin dazu neige, der Räumungsklage im Sinne der Luisen-Kirchengemeinde zum Erfolg zu verhelfen und zugleich den Misserfolg der gegen Pfarrerin und Kirchengemeinde erhobenen Widerklage wahrscheinlicher mache, indem sie für die Zurückweisung der Anhörungsrüge stimme.

Mit Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2022 (Anlage BF 24) wurde auch das Ablehnungsgesuch gegen die Richterin Schröer als unbegründet zurückgewiesen. Die mit der Anhörungsrüge vom 24. Mai 2022 beanstandeten Gehörsverletzungen ließen die Kontrollrichter (zwei Richter der ZK 63 und die Vorsitzende der ZK 65) dabei als weitere Umstände mit der Begründung unberücksichtigt.

Nach Einlegung der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nebst Eilanträgen am 22. Juni 2022 hat die Bf. beim Landgericht Berlin (Zivilkammer 64 in der Regelbesetzung) die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden beantragt.

Für die Bf. ist es daher entscheidend, dass sie auch in der Berufungsinstanz vor Richtern steht, die unabhängig und unparteilich sind und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bieten.

a) Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 und des Art. 103 Abs. 1 GG
Die Bf. hat bereits im Ablehnungsgesuch vom 5. April 2020 (Anlage BF 17, S. 3 f.) als einen von neun Ablehnungsgründen vorgetragen, dass die Richter sich nicht mit der bereits durch das Reichsgericht begründeten und bis heute fortgesetzten Rechtsprechungslinie befasst haben, wonach binnenrechtliche „Formvorschriften“ öffentlich-rechtlicher Körperschaften die Vertretungsmacht der für sie handelnden Personen begrenzen.

Dass die abgelehnten Richter dennoch nicht der Frage nachgegangen sind, ob es hierzu womöglich bereits ober- oder höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt, sie stattdessen im „juristischen Blindflug“ das Manöver des § 522 Abs. 2 ZPO einleiten und die Bf. mit der ebenso waghalsigen wie verfehlten Aussage abfertigen, die Begründung des Amtsrichters zur Unerheblichkeit des Siegels – desselben Amtsrichters, der die Bf. zuvor mit einer sarkastischen Bemerkung aus seinem Zuständigkeitsbereich „verabschiedet“ und sich damit als befangen erwiesen hatte – sei „zutreffend“ und eine vorherige Willensbildung im Gemeindekirchenrat „unerheblich“, muss die Bf. – auch unter Berücksichtigung der weiteren Ablehnungsgründe (s. sogleich) – selbstverständlich befürchten lassen, dass die Richter ihr gegenüber eine unsachliche Haltung eingenommen haben. Das Verhalten der Richter zeugt – mindestens – von Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber der Bf., ihrer Rechtsposition und Rechtsverteidigung. Ein Richter der seinem Amtseid entsprechend nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet und die Rechtslage seiner Amtspflicht entsprechend sorgfältig und gewissenhaft prüft, hätte die Frage, ob an dem Vorbringen der Bf. „etwas dran“ ist, nicht allein auf Grundlage seines präsenten, möglicherweise unzureichenden Rechtswissens beantwortet.

Die Kontrollrichter übergehen oder „missverstehen“ – auch nach Bescheidung der Anhörungsrüge – somit weiterhin den zentralen Ablehnungsgrund der Bf. Der entscheidenden Frage, ob die amtspflichtwidrige Nichtermittlung und -berücksichtigung der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung angesichts der genannten weiteren Umstände die Besorgnis der Befangenheit begründet, weichen sie weiterhin aus. Dies verletzt den Anspruch der Bf. auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.

Die Kontrollrichter missachten ferner die BGH-Rechtsprechung, wonach es Amtspflicht jedes Beamten und jedes Richters ist, die obergerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen, indem sie schreiben, dass es für die Annahme unsachlichen oder willkürlichen Verhaltens keinen Anknüpfungspunkt gebe, wenn „die in Bezug genommene Rechtsprechung vor Erlass des Hinweisbeschlusses nicht angeführt worden ist und auch kein Anhaltspunkt dafür bestand, dass die Richter mit einer solchen rechneten.

Der Beschluss vom 17. Mai 2022 ist aber nicht nur gehörswidrig ergangen, er ist auch mit dem grundrechtsgleichen Recht der Bf. auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, nicht vereinbar. Die Kontrollrichter der Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin verkennen den materiellen Gewährleistungsgehalt dieser rechtsstaatlichen Verfahrensgarantie. Diese prägt die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Vorschrift des § 42 Abs. 2 ZPO.

Die Richter haben nicht „nur“ ihre Amtspflicht zur Ermittlung und Beachtung der obergerichtlichen Rechtsprechung verletzt. Dieses pflichtwidrige Unterlassen betraf vielmehr das zentrale rechtliche Vorbringen der Bf. Sie haben dies unterlassen, obwohl sie als Berufungsrichter zur Überprüfung der Entscheidung des Vordergerichts verpflichtet sind und entscheiden müssen, ob sie die Revision zulassen. Sie sind damit in besonderem Maße zur Ermittlung und Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung verpflichtet. Stattdessen haben sie, ohne ergänzende Begründung, schlicht auf die aus einem Satz bestehende Begründung des Amtsrichters verwiesen. Dieser Amtsrichter war befangen, was auch die Berufungsrichter aus dem sarkastischen letzten Satz seines Urteils herauslesen konnten. Das hat die abgelehnten Richter jedoch nicht veranlasst, die Begründung zu hinterfragen.

Die abgelehnten Richter räumten der Bf., für die es in dem Rechtsstreit um die Beibehaltung ihrer Wohn- und Arbeitsstätte und damit um Existenzfragen geht, eine minimal kurze Frist für die Stellungnahme von lediglich zwei Wochen ein (näher Anlage BF 17, S. 6 f.). Dass die Setzung einer Zweiwochenfrist bei Hinweisbeschlüssen nach § 522 Abs. 2 ZPO der „Standard“ in Räumungsverfahren sein soll (Anlage BF 2, S. 4), relativiert die Setzung der kürzest möglichen Frist im Ausgangsverfahren keineswegs. Es ist vielmehr erschreckend, dass es gängige Justizpraxis sein soll, dem auf Räumung Verklagten lediglich zwei Wochen Zeit einzuräumen, um dem Gericht die einschlägige Rechtsprechung vorzutragen und – bei gutem Willen der Richter – zu verhindern, dass er womöglich als Wohnungsloser auf der Straße landet.

Der Hinweisbeschluss ist durchgängig in der Wirklichkeitsform anstatt etwa im „dürfte“-Stil formuliert, was für die Bf. ein weiteres Anzeichen dafür war, dass die abgelehnten Richter sich bereits festgelegt haben und nicht offen dafür sind, weitere Argumente zu berücksichtigen (näher Anlage BF 17, S. 5).

Diese und die weiteren angeführten Umstände machen es mehr als nachvollziehbar, dass die Bf. mit dem Hinweisbeschluss den Eindruck gewinnen musste, nicht nur beim Amtsrichter Batschari, sondern auch bei der Zivilkammer 64 auf „taube Ohren“ zu stoßen und an eine „Wand der Ignoranz“ zu prallen. Dann ist die Besorgnis der Befangenheit aber offensichtlich begründet. Es kann insbesondere keine Rede davon sein, dass die abgelehnten Richter Gewähr für ihre Neutralität und Sachlichkeit bieten.

c) Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde trotz offenkundig klärungsbedürftiger Rechtsfragen
Die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), das Grundrecht auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 1 GG) und das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sind jedenfalls deshalb verletzt, weil die Kontrollrichter unter offensichtlichem Verstoß gegen ihre gesetzliche Verpflichtung nicht die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen haben. Für eine sachgerechte Entscheidung über das Ablehnungsgesuch waren Rechtsfragen relevant, die klärungsbedürftig und klärungsfähig sind und daher grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO haben. Hierauf hatte die Bf. in ihrer Stellungnahme vom 16. Mai 2022 auch hingewiesen.

Konkret war die Rechtsbeschwerde wegen folgender Fragen zuzulassen:

• Besteht eine strukturelle Beeinträchtigung der Unabhängigkeitsgewähr, falls der allgemeine Vertreter des abgelehnten Richters über das Ablehnungsgesuch (mit-)entscheidet, und gebietet diese eine grundrechtskonforme Auslegung des § 45 Abs. 1 ZPO dahingehend, dass nicht der allgemeine Vertreter, sondern ein weiterer Richter über das Ablehnungsgesuch entscheiden muss?

• Begründet die schuldhafte Verletzung einer der ablehnenden Partei gegenüber bestehenden Amtspflicht des Richters für sich genommen oder nur bei Hinzutreten weiterer Umstände (welcher Art?) die Besorgnis der Befangenheit?

• Bezieht sich der Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO allein auf den „Erkenntnisprozess des Gerichts“ und wie verhält sich dazu die Amtspflicht zur Beachtung der Rechtsprechung gleichgeordneter und höherrangiger Gerichte?

Begründetheit des Antrags auf Verweisung an ein anderes Landgericht
Das BVerfG ist nach § 95 Abs. 2 BVerfGG befugt, die Sache auch an ein anderes Landgericht zu verweisen, „wenn dies zur Wahrung der materiellen Einzelfallgerechtigkeit erforderlich ist, um sachfremden Einflüssen auf das Verfahren vorzubeugen.“ (BVerfG, Beschl. v. 29. November 2005 – 1 BvR 1542/05 –, BVerfGK 6, 380-384, Rn. 16, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 25. Oktober 1966 – 2 BvR 291/64 –, BVerfGE 20, 336-347, Rn. 34).”

Fortgesetzter Bericht über das Verfahren: https://landgerichtsreport.de/Urteil-Zivilkammer-64


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