Erhebung einer unzulässigen Räumungsklage durch die geschäftsführende Pfarrerin einer Ev. Kirchengemeinde des Sprengels Berlin-Brandenburg. Mangels Vertretungsmacht und mangels positiver Beschlussfassung durch das Leitungsgremium bzw. mangels eines billigenden GKR-Beschlusses war die Klage spätestens in 2. Instanz als unzulässig abzuweisen. Der vollmachtlose Vertreter der Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz zu 100% zu tragen. Der Streitwert liegt erstinstanzlich bei ca. 16.000,00 €. In 2. Instanz wurde sowohl gegen die Kirchengemeinde als auch gegen die Pfarrerin Widerklage erhoben (Anwaltsgebühren über RVG, Schadenersatz u.a. wgn. deliktischer Besitzstörung, Schmerzensgeld, fiktiver Wert sich fortsetzender Schäden, ges. ca. 45.000,00 €). Die Widerklage hat die Zivilkammer 64 des Landgerichts Berlin zunächst als unzulässig angesehen. Später machte sie eine 180°-Kehrtwende und stufte die Widerklage zwar als zulässig, jedoch als unbegründet ein. Mit Urteil vom 22.12.2022 wurde die Revision zugelassen.



Beteiligte Richter
Jörg Tegeder (Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin, 64. Zivilkammer), Dr. Thomas Babucke (Richter am Landgericht Berlin, 64. Zivilkammer), Dr. Eyske Harrack (Richterin am Landgericht Berlin, 65. Zivilkammer)

Aus dem Urteil (Auszüge)

"Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.11.2022 hat die für die Klägerin/Widerbeklagte zu 2) sowie für die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) erschienene Rechtsanwältin keine Anträge gestellt.

Mangels wirksamer Klageerhebung durch die Evangelische [...] Kirchengemeinde ist sie lediglich als vermeintliche Klägerin oder „Schein-Klägerin“ anzusehen. Sie wird im Rubrum gleichwohl weiterhin als Klägerin und Widerbeklagte zu 2) geführt.

Die Klage ist unzulässig. Sie ist - mangels Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Parteien des Mietvertrags - ungeachtet der Säumnissituation durch kontradiktorisches unechtes Versäumnisurteil als unzulässig abzuweisen (vgl. zum unechten Versäumnisurteil Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 330 Versäumnisurteil gegen den Kläger, Rn. 7).

[...]

Die im Rahmen der Berufung erhobene Widerklage gegen die als Klägerin/Widerbeklagte zu 2) geführte Evangelische [...] Kirchengemeinde und die Drittwiderklage gegen die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) sind zulässig, aber unbegründet.

Die Drittwiderklage und die Widerklage sind zulässig.

Für eine Drittwiderklage im Berufungsverfahren bedarf es der Zustimmung des Drittwiderbeklagten, es sei denn, er verweigert sie rechtsmissbräuchlich (vgl. Musielak/Voit/Heinrich, 19. Aufl. 2022, ZPO § 33 Rn. 28). Vorliegend hat die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) zwar angekündigt, die Zustimmung zu verweigern, doch wäre die Verweigerung als rechtsmissbräuchlich anzusehen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH wird ein solcher Missbrauch im Allgemeinen dann zu bejahen sein, wenn ein schutzwürdiges Interesse des neuen Beklagten an der Weigerung nicht anzuerkennen und ihm nach der ganzen Sachlage zuzumuten ist, in den Rechtsstreit einzutreten, obgleich dieser bereits in der Berufungsinstanz schwebt.

Weiter ist die Widerklage gegen die Klägerin zulässig.

Zwar fehlt es auch hinsichtlich der Klägerin an der Zustimmung zur Widerklage im Sinne von § 533 Nr. 1 Alt. 1 ZPO. Doch ist die Widerklage sachdienlich im Sinne des § 533 Nr. 1 Alt. 2 ZPO. Die Zulassung der Widerklage führt zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung des Streitstoffs im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits.

Die mit der Widerklage geltend gemachten Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche werden damit begründet, dass sie erst durch den Prozess entstanden seien. Auch gelten die Ausführungen zur Rechtsmissbräuchlichkeit einer verweigerten Zustimmung für die Klägerin/Widerbeklagte zu 1) entsprechend. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Klägerin/Widerbeklagte zu 2) das Handeln der Drittwiderbeklagten/Widerbeklagten zu 1) nach §§ 89, 31 BGB zurechnen lassen muss. Weiter hat die Klägerin/Widerbeklagte zu 2) sich das Handeln der Drittwiderbeklagten/Widerbeklagten zu 1) in Form der Kündigung durch die beauftragten Prozessbevollmächtigten und des nachfolgenden Räumungs-Rechtsstreits durch Unterlassen zu eigen gemacht und gebilligt, indem sie sich trotz der ihr über die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) zuzurechnende Kenntnis des Rechtsstreits weder von diesem distanziert noch Schritte unternommen hat, das Verfahren zu beenden.

Auch besteht hinsichtlich des (Dritt-)Widerklageantrags zu 1. a) das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Beklagte hat – nach Hinweis der Kammer vom 12.10.2022 - dargetan, dass der von ihr geltend gemachte materiell rechtliche Erstattungsanspruch über den prozessualen Erstattungsanspruch nach § 91 ZPO hinausgeht, sodass ein Nebeneinander beider Ansprüche in Betracht kommt (vgl. BGH, NJW 2011, 2368 Rn. 10, beck-online).

Die Drittwiderklage und die Widerklage sind jedoch unbegründet.

[...]

Dabei sind die Kosten im Zusammenhang mit der unzulässigen Klage den Prozessbevollmächtigten der Klägerin/Widerbeklagten zu 2) als vollmachtlose Vertreter aufzuerlegen (vgl. NK-GK/Joachim Volpert/Peter Fölsch/Jürgen Köpf, 3. Aufl. 2021, GKG § 22 Rn. 24)."

Zulassen der Revision

“Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO zuzulassen, da die Frage der wirksamen Vollmachtserteilung durch eine Kirchengemeinde und die Frage der Schadensersatzhaftung bei Ausspruch einer mangels formell ordnungsgemäßer Vollmacht unwirksamen Kündigung grundsätzliche Bedeutung haben.”

1. interner Kommentar nach dem Urteil

"Sehr geehrter Herr Kollege Dr. T.,

ich komme zurück auf die Räumungsklage gegen unsere Mandantin [...]. Gestern ist das Urteil des Landgerichts Berlin (ZK 64) verkündet worden.

Nachdem die Kammer noch mit Hinweisbeschluss vom 10. März 2022 die Berufung als offensichtlich aussichtslos beurteilte (trotz bereits damals zutreffenden Vortrages unserer Mandantin), hat sie nach Übernahme der Prozessvertretung durch GQL Rechtsanwälte mit Hinweisbeschluss vom 15. August 2022 eine „180-Grad-Kehrtwende“ vollzogen und die Räumungsklage als unzulässig angesehen. Dies hat sie mit dem gestern verkündeten Urteil bestätigt. Die durch uns zweitinstanzlich erhobene Schadensersatz-Widerklage gegen Pfarrerin und Kirchengemeinde, die die Kammer anfänglich noch als unzulässig beurteilte, hat sie mit dem gestern verkündeten Endurteil als zulässig, jedoch unbegründet angesehen.

Die Revision wurde zugelassen.
Unsere Mandantin möchte Revision gegen die Abweisung ihrer Widerklage als unbegründet einlegen.

Nach meiner vorläufigen Einschätzung ist nun der Fall eingetreten, den wir bereits in unserem – letztlich erfolglosen – Ablehnungsgesuch besorgt hatten: Die Kammer hat sich davor gedrückt, die mit der Widerklage verbundenen Fragen der Schadenszurechnung „anzufassen“, weil sie dann über ihr eigenes amtspflichtwidriges Fehlverhalten (Hinweisbeschluss vom 10. März 2022) hätte urteilen müssen.

Da der Fall wahrlich außergewöhnlich ist, werde ich Ihnen so bald wie möglich eine inhaltliche Stellungnahme zukommen lassen.”

Auszüge aus einem der finalen Schriftsätze vor dem Urteil

“Die zum Schadensersatz führende Rechtsverletzung liegt somit in der Verletzung absoluter Rechte, die die Beklagte gegenüber jedermann geltend machen kann. Die Rechtsverletzung ist durch Erhebung einer unzulässigen und unbegründeten Räumungsklage eingetreten und durch Festhalten an dem Räumungsprozess vertieft worden. Hiermit wurde der Beklagten der Besitz streitig gemacht und wurde sie in der Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit massiv behindert.

Aus welchem Grund die Räumungsklage unzulässig und unbegründet war, ist nur für das Verschulden relevant. Hier kann aber kein Zweifel bestehen, dass die Pfarrerin schon vor Klageerhebung wusste oder jedenfalls wissen musste, dass sie nicht zur Vertretung der Kirchengemeinde berechtigt ist, wenn sie den Klageauftrag und die Prozessvollmacht mittels einer Vollmachtsurkunde erteilt, die lediglich den Adressstempel und nicht das von Art. 24 Abs. 2 EKBO GO  vorgeschriebene Siegel aufweist, und der Kündigung oder Klageerhebung überdies kein billigender Beschluss des Gemeindekirchenrates, der nach Art. 24 Abs. 1 EKBO allein zur Vertretung der Kirchengemeinde befugt ist, vorausging. Spätestens mit der Klageerwiderung, in der das Fehlen des Siegels, eines GKR-Beschluss und der Zustimmung des Kirchlichen Verwaltungsamts gerügt wurde, hätte die Widerbeklagte zu 1) Anlass gehabt, die kirchliche und weltliche Rechtslage eingehend und unabhängig prüfen zu lassen und die Klage entweder zurückzunehmen oder eine gesiegelte Vollmacht, einen die Kündigung und die Prozessführung billigenden GKR-Beschluss und die Zustimmung des Kirchlichen Verwaltungsamts nachzuweisen. Stattdessen hat sie den Prozess über viele Monate und Schriftsatzwechsel hinweg fortbetrieben und erst wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung eine gesiegelte Vollmacht ausgestellt. Mit Ausstellung dieser Vollmacht konnte – selbst wenn die Siegelung zum Nachweis der Vertretungsberechtigung ausreichen würde (quod non) – die Kündigung wegen Zeitablaufs und zwischenzeitlicher Beanstandung der Vertretungsmacht durch die Beklagte nicht (mehr) genehmigt werden (vgl. auch OLG Frankfurt, Urt. v. 7. Juli 2015 – Az. 5 U 187/14, AG 2015, 787 = juris-Rn. 85 ff.).

Derweil musste die Beklagte einen massiven Aufwand betreiben, um den Prozess zu ihren Gunsten zu „drehen“, nachdem der befangene Amtsrichter Batschari und zu Beginn auch noch die Richter des Landgerichts Berlin trotz im Ergebnis im Wesentlichen zutreffenden Vortrages ihres zunächst beauftragten Rechtsanwalts Martin G. die Vollmachtsurkunde mit dem Adressstempel für ausreichend hielten. Der besondere Aufwand, den die Beklagte für ihre Rechtsverteidigung hatte, ist ein adäquat kausaler, vorhersehbarer Schaden, weil mit jeder Prozessführung bekanntlich das Risiko einer richterlichen Fehleinschätzung der Sach- und Rechtslage verbunden ist. Dieses Risiko hatte sich hier erstinstanzlich und auch anfänglich noch zweitinstanzlich materialisiert und damit die besonderen Anstrengungen der Beklagten zur Verteidigung und zum Schutz ihrer Rechte und damit zur Schadensverringerung erforderlich gemacht.

Der Widerbeklagten zu 2) ist das Wissen der Widerbeklagten zu 1) über die Prozessführung und den Prozessstoff zuzurechnen, weil letztere Organwalterin im Leitungs- und Vertretungsorgan der ersteren, dem Gemeindekirchenrat ist. Bevor die Widerbeklagte zu 1) selbst Prozesspartei wurde, war ihr selbst das Prozesswissen von [...] Fachanwälte zuzurechnen, da sie letztere beauftrag hatte.

Mit der vom Vorsitzenden für das Gericht im Termin am 30.11.2022 – so versteht ihn die Beklagte – geäußerten Rechtsauffassung, dass der Gemeindekirchenrat der Widerbeklagten zu 2) die Kündigung, die Klageerhebung und die Prozessführung dadurch gebilligt habe, dass er – obwohl bei ihm kraft Zurechnung des Wissens der Widerbeklagten zu 1) von Kenntnis auszugehen ist – nichts dagegen unternommen habe, und daher die Widerbeklagte zu 1) von einer Billigung ihres Verhaltens durch den GKR ausgehen durfte, widerspricht sich das Gericht selbst. Könnte aus dem Nichtstun der GKR-Mitglieder auf eine Billigung geschlossen werden, müsste der Pfarrerin – vorbehaltlich der erforderlichen Zustimmung des Kirchlichen Verwaltungsamts – auch die Vertretungsmacht für die Kirchengemeinde zuerkannt werden. Hierfür sind auch nach im Termin geäußerter Aufassung des Gerichts (jedenfalls) Siegelung und biligender GKR-Beschluss erforderlich.

Diesen Schluss möchte das Gericht, folgt man seiner Auffassung im Termin, jedoch nicht ziehen. Aus gutem Grund: Der Gemeindekirchenrat kann seinen kollektiven Willen nur in einem ordnungsgemäß geführten Verfahren bilden, in der Regel in ordnungsgemäß einberufenen und geführten Sitzungen, möglicherweise auch in einem Umlaufverfahren. Dass eine solche Willensbildung erfolgt ist, wurde von keiner Seite behauptet. Es überzeugt auch nicht, den Nachweis einer realen Willensbildung der Gemeindekrirchenratsmitglieder auf eine Zurechnung des Wissens eines seiner Mitglieder (Widerbeklagten zu 1.) und damit auf eine rechtliche Fiktion zu stützen. Ohne Nachweis einer realen Willensbildung und -äußerung der GKR-Mitglieder kann aber nicht von einer Billigung ausgegangen werden. Damit bleibt es aber nicht nur beim Fehlen der Vertretungsmacht der Widerbeklagten zu 1), sondern auch bei der mietvertraglichen Pflichtverletzung der Widerbeklagten zu 2): Diese hat nichts unternommen, um das Handeln der Widerbeklagten zu 1) – sofern dies überhaupt oder noch möglich war (quod non) – durch billigenden Beschluss ins Recht zu setzen oder – was allein zulässig und geboten gewesen wäre – das rechtswidrige Handeln der Widerbeklagten zu 1) durch die einem Gemeindekirchenrat zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterbinden.”

Über den Fortgang des Verfahrens wird berichtet.

Tel.: 0302888360
Mail: Office@Buckminster.de

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