Analyse zur Strafbarkeit der von Norbert Bolz verwendeten NS-Parole


1.) Die Strafverfolgung aufgrund des Gebrauchs von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ist eröffent durch StGB § 86a Abs. 1

Strafgesetzbuch (StGB)

§ 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder

2. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) § 86 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.



2.) Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. März 2007 (Az.: 3 StR 486/06)

Leitsatz

Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwider und wird daher vom Tatbestand der Vorschrift nicht erfasst.

Vertiefung 

Rn. 12: Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich nicht zuwider und wird daher vom Tatbestand des § 86a StGB nicht erfasst. Da sich in einem derartigen Fall die gegnerische Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergibt, erstreckt sich der Tatbestandsausschluss grundsätzlich auf jeglichen Gebrauch der Kennzeichen, sei es Herstellung, Vorrätighalten, Verbreiten oder sonstiges Verwenden. Auf die Umstände des Gebrauchs kommt es dabei zur Begründung eines Tatbestandsausschlusses nicht an. Der Senat weist freilich darauf hin, dass ein Tatbestandsausschluss nur gerechtfertigt erscheint, wenn die Gegnerschaft sich eindeutig und offenkundig ergibt und ein Beobachter sie somit auf Anhieb zu erkennen vermag. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur undeutlich erkennbar, so ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt. Dies mag etwa der Fall sein, wenn das Durchstreichen des Hakenkreuzes so dünn erfolgt, dass aus einer gewissen Entfernung nur noch das Hakenkreuz, nicht mehr aber die Distanzierung erkennbar ist.

Rn. 13: Eine Einschränkung des Straftatbestandes in solchen Fällen trägt auch dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung. Zwar handelt es sich bei § 86a StGB um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, das grundsätzlich geeignet ist, zur Verwirklichung seines Schutzzweckes die Meinungsfreiheit zu beschränken. Läuft jedoch ein Handeln - wie hier der Gebrauch von Kennzeichen in eindeutig und offenkundig ablehnender Weise - dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwider, wäre es auch verfassungsrechtlich bedenklich, ein solches Verhalten gleichwohl zu inkriminieren und dadurch die Freiheit von Bürgern zu beschränken, die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass sie gerade die Kennzeichen angreifen, die eben diese unerwünschten Bestrebungen symbolisieren (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23. März 2006 - ︎︎︎1 BvR 204/03).



3.) Faktenlage zu Norbert Bolz (wgn. taz / AfD u. Höcke) und Bernd Kramer (wgn. CDU-Bezug)

a) Norbert Bolz

Am 19. Januar 2024 postete die taz:

„AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht

Rechte drohen die Macht zu übernehmen und endlich wächst der antifaschistishe Widerstand. Gerichte könnten ihn unterstützen. Pessimismus nicht...”

Am 20. Januar 2024 repostete Nobert Bolz unter Einbindung des Original-Posts der taz:

„Gute Übersetzung von “woke”: Deutschland erwache!”

b) Bernd Kramer

Im Januar 2025 reagierte der SZ-Redakteur Bernd Kramer u.a. auf Aussagen von Carsten Linnemann (CDU).

In seinem Carsten Linnemann gewidmeten Post heißt es:

„Carsten Linnemann ist bereits genervt vom “Brandmauergerede”.
In diesem Sinne: Sieg heil, liebe @CDU”

c) Gegenüberstellung

Die Aussage Bernd Kramers ist als sarkastische Zuspitzung gemeint. Er will zeigen, dass das Aufweichen der Brandmauer sinnbildlich den Sieg der Rechten bedeutet. Der Ausruf Sieg heil” wird nicht affirmativ als Zustimmung zum Nationalsozialismus eingesetzt, sondern als sarkastisch gemeinte Warnung vor einem politischen Dammbruch.

Bernd Kramer bedient sich der Sprache der Rechten, um vor den Rechten zu warnen.

Die taz verwendet „Deutschland erwacht“ (nicht erwache!) als bewusst provokante, kritische Anspielung auf NS-Rhetorik, um eine Entwicklung im rechten Spektrum zu kommentieren. Sie will ausdrücken: „Rechte/Extreme formieren sich – die demokratische Kraft im Land muss wachsam sein bzw. erwacht gerade.“

Norbert Bolz reagiert darauf mit:

„Gute Übersetzung von “woke”: Deutschland erwache!“

Damit verdreht er die Richtung: Norbert Bolz verknüpft „woke“ (linker Aktivismus, linke Identitätspolitik) mit der NS-Parole „Deutschland erwache!“ und meint offenbar: „Woke ist im Grunde genauso totalitär, fanatisch und faschistisch wie extrem rechte Ideologie.“

Diese rhetorische Gleichsetzung, die zynisch anmutet, lässt keine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie erkennen und dürfte daher nicht als schützenswerte Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG einzuordnen sein.


Bolz’ Formulierung ist auch ambivalent, weil er a) die NS-Parole wörtlich und affirmativ wiedergibt, b) er keine Distanz zur NS-Ideologie aufbaut und c) sie in einen Kontext stellt, der gegen Linke gerichtet ist, nicht gegen Nationalsozialisten bzw. an den Nationalsozialismus erinnernde Bestrebungen. Norbert Bolz benutzt das verbotene Kennzeichen nicht für einen kritischen Umgang damit, sondern um (s)einen politischen Angriff zu starten.

Kriterien:
  • Der ablehnende Kontext fehlt.
  • Die Aussage ist nicht eindeutig als Kritik an der NS-Ideologie zu erkennen.
  • Zielrichtung: Angriff auf linke „woke“-Kultur; „woke“ (engl. aufgewacht)

Semantische Ebene: Das Wort “erwache” ist im deutschen Sprachgebrauch ein Imperativ (z.B. als Appell gemeint). Die genaue Formulierung ruft zu einer Handlung oder Bewegung auf. Im historischen Kontext nationalsozialistischer Propaganda wurde der Imperativ “Deutschland erwache!” zur kollektiven Aktivierung verwendet (eine Art Erweckung bzw. Weckruf). „woke“ dagegen beschreibt keine Handlung, sondern einen Zustand: Menschen, die bereits “aufgewacht” sind. Ein Appell ist darin nicht zu sehen. Daher ist es sprachlogisch falsch, „woke“ mit „erwache“ zu übersetzen oder daraus eine Gleichsetzung abzuleiten.

d) Tiefere Analyse

Die rhetorische und semantische Logik politischer Zuspitzung folgt einem Prinzip: Wer etwas kritisieren oder markieren will, greift dessen Sprache auf, um sie in einen gegenteiligen Sinn zu überführen. Das tut die taz, wenn sie mit „Deutschland erwacht“ auf rechte Mobilisierungsrhetorik anspielt und die Formulierung im Kontext einer knappen, pointierten Wortmeldung über politische Gegenmaßnahmen im Kampf gegen das rechte politische Spektrum in Deutschland verwendet (Diskussion um AfD-Verbot; Höcke-Petition). Der angedeutete Ausruf entstammt der Propagandasprache des Nationalsozialismus, wird im Fall der taz aber als kritische Anspielung gegen rechts gewendet. Die verbotene Parole wird nicht 1:1 reproduziert, sondern nur reflektiert; ihr Klang wird aufgerufen, um eine Gefährlichkeit von rechts und die Notwendigkeit demokratischer Abwehr zu betonen. Das ist die performative Distanz, die der BGH in seiner Rechtsprechung (3 StR 486/06) als „offenkundige Gegnerschaft“ anerkennt.

Bolz kehrt das rhetorische Verhältnis um: Er reagiert auf eine Wortmeldung von links und will linke Moralrhetorik sowie Ideologieverhalten („woke“) kritisieren bzw. angreifen. Dazu bedient er sich nicht linker, sondern rechter Symbolik. Anstelle der kritischen (notwendigen) Brechung erzeugt Bolz eine Anschlussfähigkeit an die Sprache und Symbolik des Nationalsozialismus.

Relevant ist dies deswegen, weil eine verbotene NS-Parole als eigenes Vokabular des Autors auftritt. Die Formulierung „Deutschland erwache“ ist nicht abgewandelt, sondern identisch mit der historischen Losung. Der Ausdruck wird nicht als kritische Distanzierung oder sarkastische Nachahmung verwendet, sondern als Stilmittel in einem politischen Angriff, der nach rechts anschlussfähig ist.

Bolz zitiert verbotene rechte Rhetorik nicht, um sie zu entlarven, zu schwächen oder zu delegitimieren, sondern er nutzt sie als Werkzeug gegen links und verliert dadurch die notwendige Distanz zu ihrem ideologischen Ursprung. Der konkrete Ausruf wird so selbst zum Träger jener Rhetorik, die Bolz möglicherweise kritisieren wollte.

Entscheidend ist:

  • Die taz zieht das Vokabular (abgewandelt) aus der rechten Sphäre, um es gegen rechts zu wenden.
  • Bolz zieht dasselbe Vokabular (wortgenau) aus der rechten Sphäre, um es gegen links zu wenden.

Im ersten Fall entsteht eine kritische Spiegelung, im zweiten Fall eine Wiederverwendung.

Die verbotene Parole wird nicht dekonstruiert, sondern reaktiviert.

Dadurch dürfte der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt sein: Nicht, weil Norbert Bolz den Nationalsozialismus propagiert, sondern weil er dessen Sprachzeichen verwendet (ohne sie kritisch zu brechen) und damit zu deren Normalisierung und symbolischer Wiederbelebung beiträgt.

e) Schlussbemerkung zum Durchsuchungsbeschluss im Fall Norbert Bolz sowie zur Fortführung der Strafverfolgung

Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten dürfte nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) genügen.

Die (auch nur beabsichtigte) Durchsuchung des privaten Wohnraums stellt einen besonders schweren Grundrechtseingriff dar und ist nur in engen Ausnahmefällen zulässig, wenn mildere Mittel zur Sachverhaltsaufklärung ausscheiden oder nicht zur Verfügung stehen. Im vorliegenden Fall wäre es ersichtlich ausreichend gewesen, den Beschuldigten zunächst im Rahmen eines Anzeige- oder Strafbefehlsverfahrens anzuhören / zur Anhörung zu laden. Dass aber vier bewaffnete Polizisten direkt die Durchsuchung des privaten Lebensortes vornehmen sollten, steht außer Verhältnis zum Gewicht des vorgeworfenen Delikts.

Der Staatsanwaltschaft Berlin, die mit ihrem Vorgehen unwiderruflich den Eindruck politischer Strafverfolgung erweckt hat, wäre nun Konsistenz anzuraten. Wenn sie das Verfahren schon initiiert hat, sollte sie es einer gerichtlichen Klärung zuführen und nicht durch eine Einstellung den Eindruck vertiefen, es habe sich von Beginn an um eine rechtsbrüchige Maßnahme gegen eine missliebige Person gehandelt.

Zu ergänzender neuer Kontext; Selbstöffnung des Beschuldigten

In einem︎︎︎Video des Nachrichtenportals NiUS vom 24. Oktober 2025, in dem Norbert Bolz in einem der Studios von NiUS persönlich zu Wort kommt, tätigt Bolz ab min 6 folgende Aussage (der genaue Wortlaut wird wiedergegeben):

„Genau, eine linke Tageszeitung. Die lautete etwa, äh, “AfD-Verbot und Höcke”, äh, Doppelpunkt, äh “Deutschland erwacht”. Und, äh, ich habe dann, äh, gedacht “ach das ist ja wirklich unglaublich”, ich mein, ich hab’s auch als Ironie ‘n bisschen gelesen, die benutzen ja eigentlich die berühmte Formel “Deutschland erwache”, äh, und, äh, drehen die jetzt um, ja, also wenden sie praktisch um. Und, äh, das könnte ich doch jetzt auch machen. Ich dreh’ es um gegen die taz selber und mache daraus eine ironisch-polemische Bemerkung und hab’ dann einfach geschrieben, äh, also “woke”, äh, kann man nicht besser definieren als, äh, Deutschland erwache, ja, das ist eigentlich die beste Definition von “woke”, und, das ist es eigentlich schon.”

Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel meint, es sei ausgeschlossen in „Gute Übersetzung von “woke”: Deutschland erwache!” irgendetwas strafbares zu sehen, sondern es sei das, was es ist, nämlich die Kritik an der Wortwahl der taz (vgl. NiUS-Video, das ︎︎︎hier gesichert wurde).

Bolz’ eigene Einlassung im Studio widerlegt die breite Verteidigung seines Posts. Norbert Bolz sagt sogar ausdrücklich, er habe sich mit seinem Post „gegen die taz wenden“ wollen, also nicht deren Sprachwahl, die er selbst teilweise als ironisch erkannt hat, kritisieren, sondern die Zeitung und insbesondere ihre “woke-Ideologie” ironisch attackieren, indem er deren Stilmittel übernimmt. Bolz bestätigt, dass er die verbotene Losung „Deutschland erwache“ nicht als Zitat zur Distanzierung, sondern als Werkzeug seiner vermeintlichen (letztlich missglückten) Polemik verwendet hat. Dadurch verliert die Äußerung ihren angeblich ironischen Wert und wird anschlussfähig an die Rhetorik, die sie vorgibt, zu kritisieren.

Bolz verwendet die verbotene NS-Losung bemerkenswerter Weise sogar als “die beste Definition von woke”.

Damit ist auch Steinhöfels Fazit widerlegt, man erkenne „in fünf bis zehn Sekunden“, dass der Post eine Kritik an der Wortwahl der taz sei. Bolz selbst sagt das Gegenteil, und der Wortlaut des Posts bestätigt es. Dass der Ton im Studio unmittelbar nach Bolz’ Einlassung ausfiel, ist daher fast symbolisch.




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