Die (selbsternannten) Guten richten und demontieren die verklärten Bösen; Süddeutscher Schreibzirkus und die öffentliche Beinahe-Hinrichtung eines unliebsamen politischen Akteurs und Gegners; Steinke-Rezension, Repliken, koppers’sche Demokratie und das Schöne an Brücken


Der Süddeutsche Zirkus hat wieder zugeschlagen.


Was die rechtswidrige und politisch motivierte Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung über Hubert Aiwanger betrifft, soll hier nicht weit und wiederholend ausgeholt werden, alles steht im Netz. Eine drei Jahrzehnte alte Schrift, die nicht den Namen des Beschuldigten Hubert Aiwanger als Verfasser trägt, für die sich anonym gehaltene Zeugen bei der Zeitung meldeten, für deren Erstellung auf einer Schreibmaschine geschrieben wurde, auf die damals die ganze Familie Aiwanger Zugriff gehabt haben dürfte, außer die Familie hatte drei oder fünf solcher Schreibmaschinen im heimischen Inventar, nahm die Süddeutsche Zeitung als ihren Aufreißer, um Hubert Aiwanger dem schwerwiegenden Verdacht aussetzen zu können, dieser sei antisemitisch. Beweise für diese Anschuldigung: keine. Dementi: 1 (von Hubert Aiwanger). Wortmeldung/Selbstöffnung des eigentlichen Verfassers der Schrift: 1 (Bruder des Beschuldigten, der damals denselben Schuljahrgang wie Hubert Aiwanger besuchte). 

Die selbsternannten Guten (aus roten, links-grünen oder grasgrünen Lagern) und unzählige Demokraten schreiben, fordern, krakeelen im Netz, dass Hubert Aiwanger schuldig ist. Und weil er schuldig ist, muss er zurücktreten und sein politisches Amt abgeben. Dümmer und perfider geht es hierzulande bald nicht mehr. Als hätten körpereigene Produkte, die zur Ausscheidung vorgesehen sind, nicht den üblichen schnellen Weg nach draußen genommen, sondern Umwege ins Gehirn.

Fehler, die Hubert Aiwanger anzulasten wären, gibt es nicht. Dazu eine passende, viel beachtete Nachricht auf X (vormals Twitter):

“Ein Politiker muss zurücktreten, wenn er grobe Fehler macht. Korrekte Forderung. Was aber sollte eine Zeitung tun, die mit einem schlecht recherchierten Artikel ihre ganze Branche in Verruf bringt? Kurze Antwort bitte, liebe @SZ .” X-User

Auf die Stellungnahme der SZ wird man vergeblich warten.

Die Medienrechtskanzlei Höcker, und der dort tätige Rechtsanwalt Carsten Brennecke, haben als eine der ersten aufgezeigt, warum die Berichterstattung der SZ rechtswidrig ist. Sie nannten sie einen “Elfmeter ohne Torwart”. 

Wenn nun Forderungen nach hohen Geldstrafen oder Entschädigsauflagen für unseriös und rechtswidrig arbeitende Zeitungen bzw. Verlage aufkommen und laut werden, ist das nur allzu verständlich. Diese und noch folgende (politisch motivierte) Hetzkampagnen wie die der Süddeutschen Zeitung sollen mit derart hohen Straf- und Entschädigungszahlungen belegt werden, dass es für die Verursacher Jahre brauchen wird, um sich davon zu erholen. Wenn überhaupt!

Carsten Brennecke auf X: “Genau solche rechtswidrigen Kampagnen, wie die der SZ gegen Aiwanger, sind der Grund, warum wir endlich hohe Geldentschädigungen für Presseopfer brauchen. Anders bekommt man diese Auswüchse nicht in den Griff.”

Und noch ein Statement, das zum Nachdenken anregt:

“Der Umstand, dass die Causa #Aiwanger nunmehr zur temporären Beschäftigungstherapie für Linke avanciert ist, nicht nur um einen unliebsamen Politiker zu eliminieren, sondern auch um erneut langweilige Gratismut-Selbstinszenierung zu betreiben, steht gewissermaßen symptomatisch für den Diskurs über Antisemitismus hierzulande. Judenhass ist erwiesenermaßen unter Muslimen nicht nur global, sondern auch in Deutschland deutlich weiter verbreitet als unter Nichtmuslimen. In Europa werden auf Demonstrationen für „Palästina“ fast jedes Mal gewaltverherrlichende islamfaschistische und antisemitische Sprechchöre intoniert und zugehörige Symbole präsentiert. Auch die Angriffe auf Synagogen im Mai 2021 im Zusammenhang mit den Raketenangriffen auf Israel aus dem Gazastreifen demonstrieren das eindrücklich. In Berlin kann man sich mit einer Kippa nicht mehr sicher fühlen, in migrantisch geprägten Schulen ist das Mobbing jüdischer Schüler an der Tagesordnung. Das liegt nicht an glatzköpfigen Neonazis. Im Angesicht dieser Geschehnisse liegt das in Deutschland existierende Problem mit Antisemitismus NICHT in einem über 30 Jahre alten Flugblatt.“ X-User Jonas

Sehr erhellend ist dieser als Gastbeitrag geschriebene Artikel des deutsch-jüdischen Historikers Michael Wolffsohn. *Prof. Dr. Michael Wolffsohn, geboren 1947 in Tel Aviv als Sohn und Enkel von Holocaust-Überlebenden. Historiker. Autor der Bücher „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ (2022) und „Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen“

Fazit: In Deutschland lebt der Denunziant als Demokrat.

Die SZ ist ein (in Teilen) korrumpierter, bedauernswert arbeitender Haufen.

Genau wie die Justiz in Berlin.


Was macht eigentlich Ronen?




Ronen (SZ) hatte Urlaub und muss morgen wieder arbeiten gehen. 

In seinem Postfach wird Ronen u.a. die folgende Frage an ihn mit der Bitte um Beantwortung finden: 

“Sehr geehrter Herr Steinke,

zu Ihrem Artikel vom 01. August 2023, den ich vollständig gelesen habe, ergibt sich zunächst die folgende Nachfrage, mit der Bitte um Stellungnahme binnen 3 Tag ab Zustellung dieser E-Mail:

Sie schreiben im 1. Abschnitt Ihres Artikels über die Erzählperspektive: „Aber interessanterweise, ein bisschen aufgeblasen, im Pluralis Majestatis.“

Weswegen gehen Sie der Annahme, die Erzählperspektive des Buches könnte der Pluralis Majestatis sein?

Schließen Sie andere Erzählformen wie den Pluralis Auctoris oder den Bescheidenheitsplural aus? Wenn ja, aus welchen Gründen?

Vielen Dank und freundliche Grüße”

Ronen, da er ein vorbildlicher Demokrat (und kein Kobold) ist, wird sicherlich zeitnah antworten.

Über Ronen Steinkes Schreibarbeit gibt es entgegen der öffentlichen und seiner eigenen Darstellung auch konträr laufende, kritische Stimmen, die Steinke gerne als “Einzelstimmen” abtut. Bei genauerem Hinsehen fallen sie aber auf. Beispielsweise veröffentlichte Steinke ein biographisches Werk über den Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer, mit dem Titel:

Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht. München und Zürich: Piper, 2013

Mit dem Buch Steinkes setzte sich u.a. der deutsche Journalist und ehemalige Rundfunkredakteur Kurt Nelhiebel auseinander (Vgl. Website https://www.kurt-nelhiebel.de/portraets/fritz-bauer/):

Eine „Biografie“ mit Lücken und Tücken

Über Ronen Steinkes Buch Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht. München und Zürich: Piper, 2013.

Kaum zehn Minuten Fußweg vom Geburtshaus Goethes im Frankfurter Großen Hirschgraben entfernt soll sich 1960 ein Ereignis zugetragen, das der amerikanische Kriminalromanautor James Ellroy (Die schwarze Dahlie) kaum spannender hätte beschreiben können, als das in Ronen Steinkes „Biografie“ über den Initiator des Frankfurter Auschwitzprozesses, Fritz Bauer, geschieht. (Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, Piper Verlag, München 2013). Ort der geschilderten Handlung war ein Gebäude in der Frankfurter Gerichtsstraße, in dem sich das Büro des hessischen Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer befand. Und so beginnt Steinkes Buch:

„Die schwere Eichentür in der Frankfurter Gerichtsstraße gibt kaum einen Laut von sich, als der 27jährige Michael Maor sie öffnet und unbemerkt in das dunkle Gebäude hineinschlüpft. Den Weg haben sie ihm vorher genau aufgezeichnet. Rechts die steinerne Treppe hinauf, bis zum zweiten Stock…Du kannst es gar nicht verfehlen, haben sie ihm gesagt… Der Auftrag des israelischen Ex-Fallschirmspringers: Fotografiere die Akte, die links auf dem Tisch liegt. Der Tisch steht im Büro des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer.“ (Seite 13).

Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 31. Juli 1995 (Nr. 31) wurde die Szene so beschrieben:

„Wie geplant, war die Eichentür des Gebäudes in der Frankfurter Gerichtsstraße leicht zu öffnen. Michael Maor schlich durch die Vorhalle und gleich rechts die mächtige Steintreppe hoch, über den Flur im ersten Stock. Es war dunkel, niemand war zu hören oder zu sehen, weiter tappte er die nächste Treppe hoch. Dann, im zweiten Stock – ‚Du kannst es gar nicht verfehlen’, hatten sie ihm gesagt – lag gegenüber dem Treppenabsatz das Büro. Der Israeli Maor könnte den Weg durch das Frankfurter Justizgebäude heute noch mit geschlossenen Augen gehen bis zu der Tür, vor der er vor 35 Jahren stehen blieb. Sein Auftrag: ‚Fotografier die Akte, die links auf dem Schreibtisch liegt.’ . . . Der Raum, in den Maor im Frühjahr 1960 heimlich eindrang, war das Dienstzimmer des damaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer . . .“ (Nr. 31 vom 31. Juli 1995).

Den weiteren Fortgang der nächtlichen Spähaktion des israelischen Geheimdienstagenten im Frankfurter Büro des hessischen Generalstaatsanwalts beschreibt Ronen Steinke so:

„Es riecht nach Zigarren, die langen Gardinen sind zugezogen, an den Wänden hängt moderne Kunst. Und links auf dem Schreibtisch, von allen anderen Papieren säuberlich getrennt, liegt ein Stapel. ‚Das waren NS-Unterlagen, Tätigkeitsberichte, auch Fotos’, erinnert sich Maor, ‚und überall Hakenkreuze.’ Es ist die Akte Adolf Eichmanns . . .“ (Seite 13).

Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 31. Juli 1995 war 18 Jahre davor unter der Überschrift „Feindliches Ausland“ zu lesen gewesen:

„Im Büro des Generalstaatsanwalts fand er alles wie besprochen vor. Die Gardinen waren zugezogen, es roch nach Zigarren, und links auf dem Schreibtisch, von allen anderen Papieren deutlich isoliert, lag ein Stapel. ‚Das waren NS-Unterlagen, Tätigkeitsberichte, auch Fotos’, erzählt Maor, ‚und überall Hakenkreuze.’ . . . Maor ist sich sicher, dass nur der Ermittler die Akte Eichmann derart offensichtlich auf dem Schreibtisch plaziert haben konnte.“

In der Biografie von Ronen Steinke hieß es weiter:

„Gerade hat der israelische Agent in Fritz Bauers dunklem Büro seine Fotoausrüstung aufgebaut, da zuckt er zusammen: ‚Plötzlich hörte ich Schritte, und Licht fiel durch den Türritz.’ Michael Maor versteckte sich eilig hinter dem Schreibtisch, der Mensch auf dem grünen Linoleum draußen näherte sich mit langsamen, seltsam schlurfenden Schritten. Es scheint, als ziehe er irgendetwas hinter sich über den Boden. Maor verharrt – bis ihm klar wird, dass es die Putzfrau sein muss. ‚Offenbar war sie ein bißchen schlampig’, glaubt er, denn die Frau erspart sich die Arbeit im verqualmten 60-Quadratmeter-Büro des Generalstaatsanwalts und schlurft weiter.“(Seite 15).

Die entsprechende Passage liest sich im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 31. Juli 1995 so:

„Er hatte gerade alles vorbereitet, da wurde er gestört: ‚Plötzlich hörte ich Schritte, und Licht fiel durch den Türritz.’ Schnell löschte Maor die Repro-Lampe und versteckte sich hinter dem Schreibtisch. Er konzentriert sich auf die seltsam schlurfenden Schritte, die näher kamen. Der Mensch, so erkannte Maor, zog irgend etwas auf dem Boden hinter sich her. Dann wurde ihm klar, dass es sich nur um die Putzfrau mit ihrem Schrubber handeln könne. ’Offenbar war sie ein bisschen schlampig’, sagt Maor. Die Frau ersparte sich die Arbeit in Bauers Zimmer und schlurfte weiter, nachdem sie kurz vor der Tür verharrt hatte.“

Schwieriger Umgang mit den Fakten

Ein Verleger, der die Textauszüge miteinander verglichen hatte, schrieb mir: „Das schrammt haarscharf am Plagiat vorbei. Auf jeden Fall ist eine solche Arbeitsweise völlig unseriös.“

Dass der Verfasser der Biografie augenscheinlich eine Vorlage benutzt hat, erfährt der Leser zunächst nicht. Erst am Schluss des Buches heißt auf Seite 283 in den „Anmerkungen“: „‚Das waren NS-Unterlagen’ und folgende Zitate Maors: ‚Feindliches Ausland’, Der Spiegel, 31. Juli 1995“. Der knappe Satz erweckt den Anschein, als stamme der Text v o r dem erwähnten Zitat aus eigener Quelle. Aber auch der ist unverkennbar abgekupfert, und schon dort stehen, ohne Kennzeichnung, zwei wörtliche Zitate. „Du kannst es gar nicht verfehlen“ und „Fotografiere die Akte, die links auf dem Schreibtisch liegt“; bei Steinke heißt es, leicht abgewandelt: „…die links auf dem Tisch liegt.“

So viel Lässigkeit im Umgang mit dem Gedankengut anderer sollte man sich nicht erlauben, erst recht nicht, wenn man dem Nazigegner Fritz Bauer unter Berufung auf eine Nazipublikation unterstellt, er habe 1933 ein Treuebekenntnis gegenüber der Naziführung abgelegt. Dazu später mehr. Zur angeblichen Homosexualität Fritz Bauers, über die sich Steinke ohne konkreten Beweis und ohne Rücksicht auf die menschliche Würde des Verstorbenen bis zur Peinlichkeit hin verbreitet, nur soviel: weder das Bundesarchiv in Koblenz noch das Archiv des Bundesnachrichtendienstes verfügen, wie sie mir schriftlich bestätigten, über Unterlagen, die auf eine Homosexualität des hessischen Generalstaatsanwalts hindeuten.

Noch ehe ich Steinkes Biografie über Fritz Bauer gelesen hatte, war ich über einen Artikel des promovierten Juristen in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Oktober 2013 gestolpert, in dem es hieß, der Saal, in dem der Auschwitzprozess 1963 begonnen habe, sei 120 Meter lang gewesen. Er meinte damit den Tagungsraum der Frankfurter Stadtverordneten im historischen Römer, der dem Gericht überlassen worden war, weil sich die Fertigstellung des eigentlich vorgesehenen Verhandlungssaales im Bürgerhaus Gallus verzögert hatte. Da ich den Auschwitzprozess als journalistischer Berichterstatter miterlebt habe, hielt ich eine Richtigstellung der Wahrheit wegen für angezeigt. Daraufhin schrieb mir Ronen Steinke, ihm sei in der Tat bei der Länge des Saales etwas durcheinander gegangen. 120 Meter lang sei der Saal im Bürgerhaus Gallus gewesen, in dem der Prozess ab Frühjahr 1964 stattgefunden habe. Der Saal im Römer sei zwar auch lang, nämlich 80 Meter, aber doch nicht ganz so lang. Damit hatte er der einen falschen Angabe eine zweite hinzugefügt. In Wirklichkeit beträgt die Länge des Saales im Römer 23,8 Meter, und die des Saales im Bürgerhaus Gallus 24,9 Meter.

Ich habe mich gewundert, weshalb Ronen Steinke sich hartnäckig weigerte, diesen offenkundigen Lapsus zu berichtigen. Bei der Lektüre seiner Fritz-Bauer-„Biografie“ wurde mir klar, weshalb er sich dagegen sträubte. Dort verbreitet er nämlich denselben Unsinn. Wäre es nur das, könnte man vielleicht ein Auge zudrücken. Aber Steinke nimmt es auch bei anderen Dingen nicht so genau. So behauptet er, die Angeklagten im Auschwitzprozess hätten während der Hauptverhandlung auf den „vorderen Reihen im Zuschauerraum“ gesessen. Weiter heißt es: „Mancher nichtsahnende Besucher hat schon einen von ihnen von hinten angetippt und freundlich flüsternd nach dem rätselhaften juristischen Geschehen da vorn gefragt.“ Das ist Boulevard-Journalismus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der angesehene Schriftsteller Horst Krüger, auf den Steinke sich in diesem Zusammenhang beruft, die Dinge so falsch dargestellt hat. Auf jedem Foto aus dem Verhandlungssaal kann man sehen, dass die Angeklagten keineswegs so dicht neben den Besuchern saßen, sondern getrennt von ihnen in einem von Polizisten flankierten gesonderten Block.

Das Jahrhundertverfahren gegen Beteiligte am Massenmord an den Juden atmosphärisch in die Nähe einer Verhandlung vor einem königlich-bayerischen Amtsgericht zu rücken, lässt sich mit Unerfahrenheit nicht erklären. Steinke ist Jurist. Dass sein Mentor Werner Renz vom Fritz-Bauer-Institut das hat durchgehen lassen, ist unbegreiflich, zumal da er Sachkunde als notwendige Voraussetzung betrachtet, „um über das vielfältige Wirken des Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer angemessen arbeiten und publizieren zu können“. Hinzu kommt, dass bereits eine ehemals leitende Mitarbeiterin des Instituts eine – wie die Süddeutsche Zeitung schrieb – „exzellente Biografie“ über Fritz Bauer vorgelegt hatte. (Irmtrud Wojak, Fritz Bauer, 1903-1968. Eine Biografie, C.H. Beck, 2009).

Auf der Lauer vor dem Schlafzimmer

Ronen Steinkes Biografie erschien vier Jahre nach der von Irmtrud Wojak. Ihr Werk umfasst rund 600 Seiten, die Recherchen nahmen zehn Jahre in Anspruch. Steinke brauchte für seine rund 300 Seiten nur einen Bruchteil dieser Zeit. Ging ihm das Schreiben so flott von der Hand, oder haben ihn Mitarbeiter des Fritz-Bauer-Instituts so intensiv unterstützt? Was gab es Neues über Fritz Bauer zu berichten, so kurz nach dem Erscheinen der von Steinke selbst so bezeichneten „hervorragenden wissenschaftlichen Arbeit“ von Irmtrud Wojak? Es seien „weiße Flecken“ geblieben, schreibt er auf Seite 24, und zwar nicht nur in der Arbeit von Irmtrud Wojak, mit der diese sich habilitierte, sondern auch in der Dissertation von Matthias Meusch, der 2001 Fritz Bauers Leben und Werk gewürdigt hatte.

Bauer habe – obwohl aus einer jüdischen Familie stammend – zu anderen Juden auffallend Distanz gehalten, sich selbst aber 1945 stolz einen Juden genannt. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil nach Deutschland im Jahr 1949 habe er damit begonnen, „diesen Teil seiner Biografie peinlich vor der Öffentlichkeit zu verbergen“. Im Kopenhagener Staatsarchiv lägen seit Jahrzehnten Berichte darüber vor, „wie Bauer als junger Mann im Exil wegen homosexueller Handlungen verhaftet wurde.“ (Seite 25).

Bauer wurde während seines Exils niemals verhaftet. Dazu hätte es eines Haftbefehls bedurft und des Verdachts einer strafbaren Tat. Beides gab es nicht; Homosexualität war in Dänemark nicht strafbar. Wie die Historikerin Monika Boll im Begleitbuch zur Ausstellung „Fritz Bauer – Der Staatsanwalt“ schreibt, wurde Fritz Bauer zwar von der dänischen Staatspolizei „wegen homosexueller Kontakte regelrecht observiert“ und er bekam „viele Vorladungen“ von der Ausländerbehörde, verhaftet wurde er jedoch niemals.

Dass Ronen Steinke seinen Lesern auch in diesem Fall etwas erzählt, das nicht stimmt, ist schlimm genug, aber es kommt noch schlimmer. (Seite 101f.) Schon im ersten Monat nach seiner Ankunft in Dänemark habe Fritz Bauer „eine Nacht mit einem Dänen“ verbracht. Ob er in „verbotene schwule Prostitution verwickelt“ sei, hätten dänische Uniformierte ihn barsch gefragt. Und dann zitiert Steinke wörtlich, was ein dänischer Polizist in seinen Bericht geschrieben habe: „Von der Straße aus konnte man beobachten, dass der Deutsche sich ausgezogen hat, ohne sich einen Pyjama anzuziehen.“ Was soll man davon halten? Irmtrud Wojak, die als Erste auf die dänische Polizeiakte über Fritz Bauer gestoßen ist, erwähnt die „angeblichen homosexuellen Freundschaften“ in ihrer Biografie mit sieben Zeilen. Warum lässt es Ronen Steinke nicht auch dabei bewenden? Will er wirklich nur zeigen, „dass Bauer der Willkür der Behörden selbst in seinem Exilland – der Demokratie Dänemark – von Beginn an ausgeliefert“ war. Honi soit qui mal y pense (Beschämt sei, wer Böses dabei denkt.).

„Hässliche Gerüchte“ und „dunkle Elemente“

Was hat es überhaupt auf sich mit der angeblichen Homosexualität von Fritz Bauer, über die Ronen Steinke sich in einer Weise auslässt, die jeden Spanner freuen wird. Hieb- und stichfeste Beweise hat er nicht. Auf Seite 102 räumt er ein, Äußerungen, auf die sich die Annahme stützen könnte, Bauer habe sich selbst als schwul gesehen, seien nicht bekannt. Später ging er dann noch mehr auf Distanz. Er wisse nicht, wie man beweisen könne, dass Bauer ein homosexueller Mann gewesen sei, sagte er am 19. November 2013 bei der Vorstellung seines Buches in Berlin. Es gebe auch niemanden, der das in der Nachkriegszeit in irgendeiner Weise bestätigt habe. Das hinderte ihn aber nicht, sich in seinem Buch über Fritz Bauer wie folgt zu äußern:

„Nur an den Abenden mit seinen jungen, vom Leben noch unbeschwerten Freunden in seiner Wohnung findet Bauer Zerstreuung“. (Seite 221) Mit dem Sohn eines Hausbewohners habe Bauer sich angefreundet. „Es ist die erste von vielen Freundschaften zu Männern, die vom Alter her seine Söhne sein könnten. Was in Frankfurt bald zu hässlichen Gerüchten führt.“ (Seite 222) „Er ist den jungen Leuten zugewandt, er interessiert sich für ihre Weltsicht, oft bis tief in die Nacht hinein, und er zieht damit den Argwohn mancher Nachbarn auf sich, die zwischen den Gardinen misstrauisch auf das Kommen und Gehen beim Generalstaatsanwalt schauen. Ein pensionierter Polizeibeamter, der mit in Bauers Haus wohnt, spricht einmal vom ‚häufigen Besuch dunkler Elemente’ bei Bauer.“ (Seiten 224f.). Über ein Fernsehinterview Fritz Bauers in dessen Büro schreibt Steinke: „Fritz Bauer, weißes, flammendes Haar und Hornbrille, fläzt etwas verdreht im Sessel, was ein Hosenbein hochrutschen und eine helle Socke und etwas Männerbein aufblitzen lässt, und natürlich raucht er …“ (Seite 28).

Als am 16. Juli 2003 der 100. Geburtstag von Fritz Bauer gefeiert wurde, erwähnte keiner der Festredner die angebliche Homosexualität Fritz Bauers auch nur mit einem Wort. Erst nachdem Steinke in seinem Buch mit dem irreführenden Titel „Fritz Bauer – oder Auschwitz vor Gericht“ – nur 12 Prozent des Inhalts befassen sich mit dem Auschwitzprozess – das Thema Homosexualität zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte gemacht hatte, wagten sich auch andere aus der Deckung. Wer das alles nicht gut findet, weil der Homosexualität immer noch die wünschenswerte gesellschaftliche Akzeptanz fehlt, und weil die sexuelle Orientierung eines Menschen dessen Privatsache ist, der muss sich sagen lassen, er mache sich die Denkweise der Nazis zu Eigen – ein Totschlagargument, das auf seine Urheber zurückschlägt und zu der Frage führt, ob der Behauptung über die Homosexualität Fritz Bauers am Ende gar antisemitische Motive zugrunde liegen. Immerhin wollen 61 Prozent der Deutschen laut einer Umfrage aus dem Jahr 2006 mit Homosexualität möglichst wenig zu tun haben.

Ablenkung von den politischen Ursachen

Was hat den Journalisten Steinke eigentlich dazu getrieben, sich in seiner Fritz-Bauer-Biografie über die angebliche Homosexualität des hessischen Generalstaatsanwalts zu verbreiten? Bestand ein dringendes öffentliches Interesse an der Offenlegung des Intimlebens von Fritz Bauer? Wie auch immer – kaum ein Rezensent kam ohne den Hinweis auf die vermeintliche Homosexualität Fritz Bauers aus. Nach dem Sinn und Zweck fragte niemand, nur ich schwamm wieder einmal gegen den Strom. In der Zweiwochenschrift Ossietzky vom 24. Mai 2014 schrieb ich, Ronen Steinke lenke damit von den Verdiensten eines Mannes ab, dessen sexuelle Orientierung für die Bewertung seines Lebenswerkes völlig unerheblich sei. Ähnlich hatte sich vor mir bereits die ehemalige Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin geäußert. Energisch wandte sie sich dagegen, die Isoliertheit Fritz Bauers auf dessen vermeintliche Homosexualität zurückzuführen und damit von den politischen Gründen für seine üble Behandlung abzulenken.

In einem Beschwerdebrief an die Ossietzky–Redaktion meinte ein von mir geschätzter Jurist, er finde es schlimm, wenn jemand im 21. Jahrhundert Homosexualität für etwas halte, was die Einschätzung des Lebenswerkes von Fritz Bauer beschädigen könnte. Dazu kann ich nur sagen: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und Grün des Lebens goldner Baum.“ (Mephisto in Goethes Faust). Wenn – wie eine EU-Studie 2013 ergab – in Deutschland 68 Prozent der Schwulen und Lesben aus Angst vor Schikanen und Pöbeleien ihre sexuelle Ausrichtung verschweigen, dann kann es nicht weit her sein mit der Akzeptanz der Homosexualität. Das war wohl auch der Grund, weshalb das Fritz-Bauer-Institut den Eingriff in die persönliche Sphäre seines Namensgebers Ronen Steinke überließ.

Der unterstellte Fritz Bauer neben der angeblichen Homosexualität dann auch anderes. Er habe gegenüber den Deutschen, die er politisch habe überzeugen wollen, sein Judentum mit einer „betont christlichen Wortwahl“ übertüncht. In einem Essay, in dem es um die Frage ging, ob die Juden oder die Römer Jesus getötet haben, habe Bauer, „wie um seine Bemühungen um ein Image der Objektivität nicht zu gefährden“, seine eigene jüdische Erziehung an keiner Stelle zu erkennen gegeben, sondern ausschließlich aus christlichen Quellen geschöpft. (Seite 199f.).

Auf Seite 201 behauptet Steinke, zum Antisemitismus der Nachkriegszeit sei Bauer nie ein öffentliches Wort über die Lippen gegangen. (Seite 201). Zehn Seiten später – was kümmert mich mein Geschwätz von gestern – beschreibt er dann den „Sturm der Entrüstung“, den Fritz Bauer 1963 mit seiner Kritik am Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland hervorgerufen hat. Die dänische Zeitung B.T., die Boulevardausgabe des angesehenen Kopenhagener Blattes Berlingske Tidende, hatte Bauer mit den Worten zitiert, die Juden würden zwar nicht mehr als Schweine beschimpft, dafür heiße es jetzt: „Wir haben vergessen, dich zu vergasen.“

Versuch einer Nachrede ohne Beweis

Salopp wie gewohnt geht Steinke auch im Kapitel über die KZ-Haft Fritz Bauers mit den Fakten um. Seiner Familie habe Bauer erzählt, dass er die Entlassung seinen Freunden in der Justiz zu verdanken habe, schreibt Steinke, aber ohne seine Unterschrift unter einer Unterwerfungserklärung gegenüber den neuen Machthabern wäre das nicht gegangen. Eine solche Erklärung inhaftierter Sozialdemokraten habe das Ulmer Tagblatt am 13. November 1933 veröffentlicht. An vorderster Stelle der Unterzeichner stünden die beiden Reichsbannerführer Karl Ruggaber und Fritz Bauer. Von dieser Demütigung habe Bauer nie etwas erzählt. Kurt Schumacher, seinerzeit Kopf der Stuttgarter SPD, habe eine solche Unterwerfungserklärung verweigert. Deshalb sei er in Haft geblieben, als Bauer entlassen worden sei.

Das klingt wenig schmeichelhaft. Aber wie war das wirklich mit der vermeintlichen Unterschrift Fritz Bauers? Die Behauptung, sein Name stehe neben dem von Ruggaber an vorderster Stelle, ist falsch. In den Anmerkungen am Schluss des Buches heißt es, bei näherer Betrachtung falle auf, dass in der Unterzeichnerliste nicht Fritz Bauer stehe, sondern ‚Fritz Hauer’, was im altdeutschen Schriftbild leicht zu verwechseln sei. Da ein Fritz Hauer nicht bekannt sei, spreche alles „für einen bloßen Druckfehler“. Wäre es wirklich so, wie Steinke behauptet, dann müsste den Schriftsetzern des Ulmer Tagblattes, und nur sie können den Druckfehler begangen haben, die Unterzeichnerliste bereits gedruckt in altdeutscher Schrift vorgelegen haben; das ist kaum vorstellbar. Der nahe liegenden Frage, ob die genannten Personen das „Treuebekenntnis einstiger Sozialdemokraten“ wirklich unterschrieben haben, oder ob das Ganze eine Propaganda-Aktion der Nazis war, mit der die Anhänger der SPD verunsichert werden sollten, dieser Frage geht Ronen Steinke nicht nach. Dabei macht schon die Überschrift des Artikels im gleichgeschalteten Ulmer Tagblatt stutzig: sie unterstellt nämlich, dass die als Unterzeichner Genannten sich von der SPD abgewandt haben. Davon konnte weder bei Fritz Bauer noch bei den anderen die Rede sein.

Wer Fritz Bauer dem Verdacht aussetzt, ein Treuebekenntnis gegenüber der Naziführung abgelegt zu haben, der kann es nicht gut mit ihm meinen. So darf man nicht umgehen mit jemandem, der sich nicht wehren kann, erst recht nicht, wenn man nicht den Funken eines Beweises in der Hand hat. Dass Ronen Steinkes Buch die Verdienste Fritz Bauers „in würdigem Andenken“ bewahrt, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, voller Respekt vor Fritz Bauers Lebenswerk in seinem Vorwort meint, bestreite ich ganz entschieden. Es ist, von den Unterstellungen und falschen Tatsachenbehauptungen abgesehen, ein sehr einseitiges Buch. Es verschweigt Fritz Bauers Wirken als politischer Mensch und setzt den hessischen Generalstaatsanwalt dadurch in ein völlig falsches Licht.

Was die Biografie verschweigt – und was nicht

Mehr als siebzigmal bezieht Steinke sich auf die Fritz-Bauer-Biografie von Irmtrud Wojak, aber um deren Aussagen zu diesem Teil der Lebensgeschichte von Fritz Bauer macht er einen großen Bogen. Den mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichneten Film von Ilona Ziok, „Fritz Bauer – Tod auf Raten“, tut er mit zwei Sätzen ab, wahrscheinlich um sich nicht mit Fritz Bauers Kritik an den Zuständen im Deutschland der Nachkriegszeit auseinandersetzen zu müssen.

So erfahren die Leser kein Wort von dem, was Fritz Bauer 1960 über „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ gesagt hat und was aus der konservativen Ecke der CDU daraufhin an Kritik auf ihn niedergeprasselt ist. Nichts erfahren sie von Fritz Bauers Streitgespräch mit Helmut Kohl, in dessen Verlauf der spätere Bundeskanzler dem hessischen Generalstaatsanwalt 1962 vorhielt, der zeitliche Abstand sei noch viel zu kurz, um ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus fällen zu können. Nichts erfahren sie von Fritz Bauers Versuch, den Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, durch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zu Aussagen über seine Rolle bei der Judenverfolgung zu bewegen, nichts erfahren sie von seinem Kampf gegen die Notstandsgesetze, nichts von seinem Vortrag über die Bedeutung des Auschwitzprozesses für die Nachwelt, der im Nachhinein klingt wie sein politisches Vermächtnis.

Ich war dabei, als Fritz Bauer am 5. Februar 1964 vor etwa 800 Studenten im Hörsaal VI der Frankfurter Universität sagte: „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Und ich war auch dabei, als er und Helmut Kohl im düsteren Saal des Bootshauses an der alten Nahebrücke in Bad Kreuznach die Klingen kreuzten. Mich empört das Niveau, von dem aus Ronen Steinke meint, den großen Humanisten Fritz Bauer als Juden darstellen zu können, der keiner sein wollte, als Schwulen, der keiner sein durfte, als Nazigegner, der den Nazis angeblich Treue geschworen hat, als einen Trickser und Täuscher also – und das alles im Einklang mit dem politischen Mainstream und einem Zeitgeist, der die Vergangenheit am liebsten Vergangenheit sein lassen möchte.

Trotz allem, das will ich am Schluss nicht verhehlen, verdanke ich Ronen Steinke einige Informationen, ohne deren Kenntnis mein Wissen über Leben und Werk Fritz Bauers lückenhaft geblieben wäre. Ich weiß jetzt, dass Deutschland vollständig unter dichten Wolken lag, als Fritz Bauer am 15. März 1936 – wie Steinke schreibt – den Zug in Richtung Dänemark nahm. Ich weiß, dass es in Kopenhagen regnete, als sich Fritz Bauer dort am 26. Februar 1963 mit einem jungen dänischen Journalisten über die Zustände in Deutschland unterhielt, und ich erfuhr, dass am 27. Februar 1964 in Frankfurt gehupt wurde, als der „junge Schriftsteller“ Horst Krüger, der damals 45 Jahre alt war, mit offenem Schiebedach zum Auschwitz-Prozess fuhr.

Ebenfalls abgedruckt in: Landesverband Bremen. Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, URL: https://bremen.vvn-bda.de/2014/08/21/fritz-bauer-als-zerrbild-eine-biografie-mit-lucken-und-tucken/

Schlagabtausch mit Erardo C. Rautenberg


Der frühere Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Erardo Cristoforo Rautenberg († 2018), hielt mit seiner Kritik an Steinkes Buch ebenfalls nicht hinterm Berg. 

Die 8-seitige Schrift ist hier abrufbar.

“Im vorigen Jahr erschien dann eine weitere Biographie von Ronen Steinke, Politikredakteur der Süddeutschen Zeitung, („Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“), die wegen ihrer guten Lesbarkeit die Bekanntheit von Fritz Bauer steigern dürfte. Doch für mich ist es gleichwohl ein schlechtes Buch, wenngleich das am besten geschriebene schlechte, das ich bisher gelesen habe. Schlecht ist das Buch nicht allein deshalb, weil Steinke vorgeworfen wird, „auf Teufel komm‘ raus abgeschrieben, ganze Absätze…aus einem 1995 erschienenen Spiegel-Artikel übernommen“ zu haben, ihm überhaupt ein „Schwieriger Umgang mit den Fakten“ bescheinigt wird, sondern weil Steinke angeblich vorhandene „weiße Flecken“ im Leben Fritz Bauers beseitigt haben will (S. 24), tatsächlich damit aber dessen Demontage betrieben hat.”

Die 5-seitige Verteidigungsschrift von Ronen Steinke ist hier abrufbar.

Darin warf er Erardo Rautenberg gleich zu Beginn nicht nur lediglich Polemik (was wohl zutrifft) sondern “Wissenschaftliche Standards verletzende Polemik” vor. 

Beispielsweise über die Homosexualität Fritz Bauers (Auszüge): 

“Schließlich wirft Rautenberg der Biografie (und auch einer Ausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt sowie des Fritz-Bauer-Instituts) vor, die „angebliche Homosexualität“ Bauers aufgehellt zu haben. Woher Rautenberg die sexuelle Orientierung Bauers so genau kennen will, dass er andere Hinweise als „angeblich“ kennzeichnen kann, erläutert er nicht. Dennoch soll darauf eingegangen werden, weil in diesem Streitpunkt vermutlich die tiefere Erklärung für die vehemente Polemik Rautenbergs zu finden ist. Zu den Fakten zunächst: Es gibt Protokolle der dänischen Staatspolizei aus 1943, nach denen Bauer einen (damals in Dänemark legalen) homosexuellen Verkehr zugegeben hat, nur bestritt, dafür bezahlt zu haben (was als Prostitutionsförderung strafbar gewesen wäre).”

Zu den angeblichen Protokollen der dänischen Staatspolizei findet sich kein Querverweis bzw. Quellennachweis. Vorteilhaft wäre die Veröffentlichung eines solchen Protokolls gewesen.

Erardo Rautenberg replizierte darauf noch einmal, u.a. heißt es dort:

“Ronen Steinke hat mir „wissenschaftliche Standards verletzende Polemik“ vorgeworfen (Steinke 2014: 513ff.). Den Vorwurf der Polemik akzeptiere ich selbstverständlich, habe ich doch seine Biographie als „das am besten geschriebene schlechte“ Buch bezeichnet, das ich bisher gelesen habe (Rautenberg 2014: 370). Doch nachdem mir Steinke „Verfälschungen“ vorgeworfen, mir unterstellt hat, dass für mich „Homosexualität ein Persönlichkeitsmakel“ sei und ein schwuler Generalstaatsanwalt nicht in mein „Mannbarkeitsbild“ passe (Steinke 2014: 515), dürften unsere Konten insoweit ausgeglichen sein. Ich möchte mich daher in gebotener Kühle auf Richtigstellungen beschränken: 

Steinke stellt meine Kritik an seinem Buch als „Einzelstimme“ dar. Damit unterschlägt er etwa die von mir in meiner Besprechung zitierte Buchkritik „Fritz Bauer als Zerrbild“ des Publizisten Kurt Nelhiebel (Rautenberg 2014: 375 und FN 45), der Bauer persönlich gekannt hat und während des großen Auschwitzprozesses unter seinem Pseudonym Conrad Taler für das Organ der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien eindringliche Prozessberichte schrieb (Taler 2015). Steinke zitiert hingegen in seiner Replik u.a. die Rezension von Annette Weinke (Steinke 2014: Fn 3). Daher möchte ich dem Leser nicht vorenthalten, dass diese zu dem Ergebnis kommt, mit Steinkes Biographie sei „eine historische Figur, die in den letzten Jahren ins Monumentalistische zu entschweben drohte, wieder auf ein Maß zurechtgestutzt (worden), an dem sich die künftige Forschung reiben“ könne. Liegt da nicht die Frage nahe, ob Steinke Bauer vielleicht zu sehr „gestutzt“ haben könnte? Dies bejahen u.a. auch Irmtrud Wojak, die bereits 2009 eine wissenschaftlich fundierte Bauer-Biographie vorgelegt hat, Ilona Ziok, Regisseurin des Bauer-Dokumentarfilmes „Tod auf Raten“, und die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Wenn ich einen Teil meiner Kritik an dem Buch von Steinke auf eine Formel bringen sollte, so wäre es die: Steinke erweckt beim Leser subtil negative Eindrücke über Bauer, die bei genauer Lektüre seines Buches nicht aufrecht zu erhalten sind: Wieso titelt er „Eine Doktorarbeit, über die sich Industriebarone freuen“ und schreibt, dass sich Bauer deshalb habe „Hoffnungen auf eine Karriere in ihren Diensten machen“ dürfen? Auch wenn Steinke dann in diesem Kapitel die Argumente selbst aufführt, die gegen ein opportunistisches Handeln Bauers sprechen, bleibt beim Leser doch etwas hängen.

Die gleiche Formel wird bei der Thematik „Homosexualität“ sichtbar: Steinke schreibt in seiner Replik, dass er in seiner Biografie die Homosexualität Bauers gar nicht behauptet habe. Das stimmt, aber er erweckt eben diesen Eindruck, was ich in meiner Besprechung durch Zitate belegt habe (Rautenberg 2014: 373ff.). Ralf Oberndörfer schreibt in seiner Rezension hierzu: „Vollkommen imaginiert wirken auch die Passagen über Bauers mögliche oder vermeintliche Homosexualität. Bauer unterhält Freundschaften zu mehreren jüngeren Männern. Aha. Der ‚weißhaarige Generalstaatsanwalt‘ (226) und der ‚Nachbarsjunge‘ Wolfgang Kaven treffen sich im Treppenhaus (222). Oho. ‚Was in Frankfurt bald zu hässlichen Gerüchten führt‘ (222). Auch ‚getuschelt‘ wird. Tatsächlich? In ganz Frankfurt? Von Bonames bis Sachsenhausen soll Bauers Sozialleben subjektloses Stadtgespräch gewesen sein? Und keiner seiner zahlreichen Feinde soll versucht haben, diesen Verdacht gegen Bauer zu verwenden?”

Der Artikel geht noch weiter, kann aber trotz des Zugangs zum Portal derzeit aufgrund von Serverproblemen nicht aufgerufen werden. Ein Login war nicht möglich: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/fjsb-2015-0442/html

Ob sich aus Steinkes Schreibverhalten ein Muster ableiten lässt, ist offen, wird aber überprüft werden. Es gibt Hinweise darauf, dass Ronen Formulierungen oder ganze Sätze, die ihm gefallen, nimmt, umbaut und als eigenes Werk ausgibt und veröffentlicht. Der Berichterstatter liest aktuell das Buch Steinkes (als elektronische Leseversion) “Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich” und auf den ersten Seiten finden sich direkt folgende Stellen:

S. 10 pp.:

Steinke: Das Vermögen in Deutschland ist so ungleich verteilt wie in keinem anderen Land der Eurozone.

„Vermögen ist in Deutschland sehr ungleich verteilt – so ungleich, wie in keinem anderen Land der Eurozone.“ DIE ZEIT, Wie Erben unsere Gesellschaft immer ungerechter macht, Von Nina Monecke, 11. Juni 2020, 12:48 Uhr

Steinke: Das reichste Hundertstel der Bürger verfügt über ein Drittel des Vermögens.

„Das reichste Hundertstel der Bürger verfügt über ein volles Drittel des Vermögens.“ Süddeutsche, Die SPD erweist dem Land einen Dienst, Von Kommentar von Alexander Hagelüken, 26. August 2019, 4:57 Uhr

Auch weist Steinke nicht darauf hin, dass er passagenweise einen älteren Artikel von ihm 1zu1 in sein Buch hat einfließen lassen; fast seinen gesamten Artikel hat Steinke übernommen, hier nur ein kurzer Auszug:

S. 17:

Steinke: Aber es ist vielleicht kein Zufall, dass auf den drei Holzbänken für das Publikum in diesem kleinen, linoleumgefliesten Gerichtssaal niemand...

Genaue Wortwahl aus dem SZ-Artikel „Der Nächste, bitte“ vom 16. Juni 2021

Diese (und sicherlich noch weitere) Ungereimtheiten bereits auf den ersten Seiten des Buches lassen die Frage aufkommen, wie es um die Dissertation von Ronen Steinke bestellt ist, die ebenfalls überprüft werden wird. Steinke schrieb unter dem Titel “The Politics of International Criminal Justice”. Das Werk ist nur kostenpflichtig zu beziehen. Die Analyse wird viel Zeit in Anspruch nehmen, weswegen mit einer zeitnahen Wortmeldung darüber nicht zu rechnen ist.

Rautenberg lehnte Berliner Generalstaatsanwältin ab


Als ab 2017 die Neubesetzung des Amts des Generalstaatsanwalts in Berlin bevorstand, und die heutige Generalstaatsanwältin Margarete Koppers ins Rennen und somit ins Gespräch geschickt wurde, vertrat Rautenberg die Auffassung, Koppers könne, da sie nie als Staatsanwältin tätig war, für dieses Amt nicht geeignet sein (was natürlich Quatsch ist). In seinem am 18.07.2017 im Tagesspiegel publizierten Artikel hieß es u.a. 

Zur Personalie Margarete Koppers: Nur eine erfahrene Staatsanwältin kann die „Beste“ sein


Brandenburgs Generalstaatsanwalt und SPD-Direktkandidat Rautenberg schreibt, warum Koppers für das Amt der Chefanklägerin in Berlin ungeeignet ist. Ein Gastbeitrag. [...]

Der Generalstaatsanwalt ist kein politischer Beamter mehr - gut so

[...]

Dass in Berlin nun eine Person Generalstaatsanwältin werden soll, die nie als Staatsanwältin tätig war, lässt angesichts der Mitbewerberin, die nicht nur stellvertretende Generalstaatsanwältin in Brandenburg war und dort zurzeit die für die Aufsicht über die Staatsanwaltschaft zuständige Abteilungsleiterin ist, befürchten, dass die Auswahlentscheidung von sachwidrigen Erwägungen bestimmt war. Bereits als ich 2015 die Stellenausschreibung las, hatte ich den Eindruck, dass für die Leitung der bedeutendsten, weil für die Hauptstadt zuständigen deutschen Generalstaatsanwaltschaft gar kein besonders qualifizierter Staatsanwalt gesucht wurde.” [usw.]

Trotz aller Kritik um ihre Person und ihre Fähigkeiten, ist Margarete Koppers Berlins Generalstaatsanwältin geworden und bleibt es auf Lebenszeit (bis zum Pensionseintritt in wenigen Jahren). 

Allerdings muss sich Margarete Koppers, die gerne mit und für Ronen Steinke auf der Bühne sitzt, vorwerfen lassen, Journalisten, die ihrer eigenen politischen Blase angehören (so wie Steinke), bevorzugt zu behandeln. Mag man den Reflex des Ausweichens vor Kritik noch verstehen, so bleibt dennoch ein unbekömmliches Geschmäckle.

Beispiel: Bereits im Januar 2023 berichtete Margaretes Liebslingsjournalist Ronen darüber, dass die Generalstaatsanwaltschaft künftig mittellose Straftäter mit weniger harten Geldstrafen belegen möchte. Der Artikel erschien taggenau am 20. Januar 2023. Drumherum gab es keine Berichterstattung. Steinkes war die einzige. Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/strafe-berlin-justiz-arbeitslose-1.5736161

Margarete Koppers wurde, nachdem der Umstand auffiel, gerügt.

Am 28.02.2023 berichteten zeitgleich mehrere Medien, darunter der rbb und der kopperskritische Tagesspiegel-Journalist Alexander Fröhlich (hinter der Paywall) über den Vorstoß Koppers’,

Quellen: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/02/berlin-generalstaatsanwaeltin-koppers-niedrigere-geldstrafen.html

und https://www.tagesspiegel.de/berlin/aufruhr-bei-berlins-strafrichtern-chefanklagerin-will-strafen-fur-arme-in-der-hauptstadt-senken-9423959.html

Eine moralische Überlegenheit ausmachend, versorgte Margarete Koppers den politisch mit ihr übereinstimmenden Schreiberling der SZ zuerst und offenbar zunächst als einzigen. Grün und Links sind die Guten. Das wissen wir jetzt. Richtige Demokraten. Freundlich, zugewandt, kommunikationsfähig, tolerant. Auf gar keinen Fall unprofessionell oder ausgrenzend oder ungewohnt ignorant.

Nein.



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