Rezensionen auf Google My Business Profilen von Rechtsanwälten, abgegeben durch Prozessgegner oder mittelbare Dritte – eine Rechtsbetrachtung
Gerichtsentscheidungen:
Landgericht München I (2019)
Landgericht und Oberlandesgericht Stuttgart (2022)
Landgericht Berlin II (2022)
Landgericht Nürnberg-Fürth (2022)
Oberlandesgericht Oldenburg (2024)

1.)
Landgericht Berlin II: 27 O 611/19
Klage der JMT EventService GmbH
Am 18. September 2019 reichte das Hamburger Unternehmen für Eventausstattung, JMT EventService GmbH (heute: JMT Deutschland GmbH, kurz: JMT), über den Prozessbevollmächtigten Verstegen Klage beim Landgericht Berlin II ein. Gemeinsames Ziel war es, Rezensionen auf den Google My Business Accounts von JMT und Rechtsanwalt Verstegen gerichtlich untersagen zu lassen. Der Inhalt der abgegebenen Bewertungen ergibt sich aus den Klageanträgen, konkret dem Klageantrag zu 3):
Hinweis: Die Behauptungen, auch wenn diese klägerseitig teilweise falsch wiedergegeben sind, beruhen auf wahren Tatsachen. Den beruflichen Hintergrund dieses Falls diskutieren wir (anders als ursprünglich geplant) in einem Anschlussartikel, der sich mit der Frage eines bestimmten Rechtsschutzbedürfnisses befassen wird.
Die anwaltliche Vertretung der Beklagten übernahm der in Berlin ansässige Rechtsanwalt Markus Hennig.
Die 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin II, damals unter dem Vorsitz von Holger Thiel, wollte die Klage zunächst am 25.06.2020 verhandeln. Dieser Termin wurde gerichtsseitig aus dienstlichen Gründen auf den 15.12.2020 verlegt.
Mit eingereichten Unterlagen vom 27. November 2020 nahm die Klägerin ihre Klage aus ökonomischen Gründen (Insolvenz) zurück.
Über die Klage hat das Landgericht Berlin II folglich nie verhandelt.
Eine rechtskräftige Entscheidung blieb aus.
2.)
Parallelverfahren am Landgericht München I,
Endurteil vom 20.11.2019 - 11 O 7732/19
Zeitlich parallel hatte das Landgericht München I (Zivilkammer 11) über eine Klage zu entscheiden, die die Löschung einer über die gegnerische Rechtsanwaltskanzlei abgegebenen 1-Stern-Rezension ohne Begleittext zum Gegenstand hatte. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass das Unterlassungs- und Entfernungsbegehren begründet war, da bereits in der Abgabe der Bewertung ein unwahrer Tatsachenkern liegt: Es wird ein Bewertungskontakt suggeriert, der die tatsächliche Inanspruchnahme und persönliche Wahrnehmung anwaltlicher Leistung in relevanter Art und Weise voraussetzt – ein Kontakt, der in diesem Fall nie existiert hat. Die Rezension war daher, auch wenn sie dem Recht auf freie Meinungsäußerung unterfällt, rechtswidrig und zu untersagen.
Landgericht Berlin II: 27 O 611/19
Klage der JMT EventService GmbH
Am 18. September 2019 reichte das Hamburger Unternehmen für Eventausstattung, JMT EventService GmbH (heute: JMT Deutschland GmbH, kurz: JMT), über den Prozessbevollmächtigten Verstegen Klage beim Landgericht Berlin II ein. Gemeinsames Ziel war es, Rezensionen auf den Google My Business Accounts von JMT und Rechtsanwalt Verstegen gerichtlich untersagen zu lassen. Der Inhalt der abgegebenen Bewertungen ergibt sich aus den Klageanträgen, konkret dem Klageantrag zu 3):
„die Beklagte zu verurteilen,
1.)
ihre unter dem Pseudonym [...] abgegebene Rezension auf dem Google My Business Account der JMT EventService GmbH [Adresse] entsprechend dem als Anlage K1 beigefügten Ausdruck unverzüglich zu löschen,
2.)
ihre unter dem Pseudonym [...] abgegebene Rezension auf dem Google My Business Account des Rechtsanwalts Fred H. Hendrikman Verstegen [Adresse] entsprechend dem als Anlage K2 beigefügten Ausdruck unverzüglich zu löschen,
3.)
es [...] künftig zu unterlassen, öffentlich und Dritten gegenüber, insbesondere im Internet, zu behaupten, die Klägerin habe einen Prozessbetrug begangen, indem sie im Rahmen des mit der Beklagten im Jahr 2017 vor dem Amtsgericht Charlottenburg geführten Rechtsstreit falsche Beweismittel, insbesondere einen falsch ausgestellten Abholschein, in dem zu viele Stunden abgerechnet sind und unwahre Angaben wurden, eingebracht hat,
4.)
an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.367,60 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.”
Hinweis: Die Behauptungen, auch wenn diese klägerseitig teilweise falsch wiedergegeben sind, beruhen auf wahren Tatsachen. Den beruflichen Hintergrund dieses Falls diskutieren wir (anders als ursprünglich geplant) in einem Anschlussartikel, der sich mit der Frage eines bestimmten Rechtsschutzbedürfnisses befassen wird.
Die anwaltliche Vertretung der Beklagten übernahm der in Berlin ansässige Rechtsanwalt Markus Hennig.
Die 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin II, damals unter dem Vorsitz von Holger Thiel, wollte die Klage zunächst am 25.06.2020 verhandeln. Dieser Termin wurde gerichtsseitig aus dienstlichen Gründen auf den 15.12.2020 verlegt.
Mit eingereichten Unterlagen vom 27. November 2020 nahm die Klägerin ihre Klage aus ökonomischen Gründen (Insolvenz) zurück.
Über die Klage hat das Landgericht Berlin II folglich nie verhandelt.
Eine rechtskräftige Entscheidung blieb aus.
2.)
Parallelverfahren am Landgericht München I,
Endurteil vom 20.11.2019 - 11 O 7732/19
Zeitlich parallel hatte das Landgericht München I (Zivilkammer 11) über eine Klage zu entscheiden, die die Löschung einer über die gegnerische Rechtsanwaltskanzlei abgegebenen 1-Stern-Rezension ohne Begleittext zum Gegenstand hatte. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass das Unterlassungs- und Entfernungsbegehren begründet war, da bereits in der Abgabe der Bewertung ein unwahrer Tatsachenkern liegt: Es wird ein Bewertungskontakt suggeriert, der die tatsächliche Inanspruchnahme und persönliche Wahrnehmung anwaltlicher Leistung in relevanter Art und Weise voraussetzt – ein Kontakt, der in diesem Fall nie existiert hat. Die Rezension war daher, auch wenn sie dem Recht auf freie Meinungsäußerung unterfällt, rechtswidrig und zu untersagen.
„Die festgestellten Beeinträchtigungen sind auch rechtswidrig. Bei der beanstandeten 1-Sterne Bewertung handelt es sich zwar um eine von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung, da diese aber einen Tatsachenkern enthält und dieser erwiesenermaßen unwahr ist, tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit der Beklagten im Rahmen einer Abwägung hinter die Schutzinteressen der von der Onlinebewertung betroffenen Klägerin zurück.”
(Rz. 50): Richtig ist zwar, dass aufgrund einer getätigten Onlinebewertung nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Bewertende tatsächlich die bewertete Leistung in Anspruch genommen hat. Unschädlich ist vorliegend also, dass die Beklagte nie Mandantin der Klägerin gewesen ist. Eine so enge Auslegung würde dem tatsächlichen Aussagegehalt einer solchen Onlinebewertung nicht gerecht. Insbesondere können auch solche Personen relevante Bewertungen abgeben, die nicht direkt Vertragspartner des Bewerteten waren aber trotzdem in relevanter Weise mit der angebotenen Leistung in Kontakt gekommen sind.
(Rz. 51): Richtig ist folglich auch, dass eine Bewertung grundsätzlich auch dann zulässig ist, wenn keine Vertragsbeziehungen bestehen oder bestanden, die kundgetane Meinung jedoch auf tatsächlichen Anhaltspunkten, Erfahrungswerten und Bezugspunkten beruht. Dies wurde in der Vergangenheit von anderen Gerichten zurecht ebenso entschieden. Die Entscheidungen, die sich größtenteils auf die Bewertung von Ärzten oder Gastwirten bezogen, können jedoch nicht unreflektiert auf den vorliegenden Fall angewendet werden, da diese im Gegensatz zu Anwälten lediglich Dienstleister sind und nicht gleichzeitig auch Interessenvertreter oder Prozessbevollmächtigte.
(Rz. 52): Es muss berücksichtigt werden, dass die Klägerin eine Anwaltskanzlei ist. Ein Anwalt ist Interessenvertreter seines Mandanten, insbesondere bei Streitigkeiten mit anderen Parteien. Der Beruf des Anwalts bringt es folglich mit sich, dass regelmäßig andere Parteien in Rechtsstreitigkeiten den Anwalt als Gegner sehen. Erreicht ein Anwalt für seinen Mandanten das bestmögliche Ergebnis, ist dies oft mit einer zumindest gefühlten Niederlage auf der Gegenseite verbunden. Auf Grundlage dieser Erwägungen wird auch deutlich, dass die Onlinebewertung einer Anwaltskanzlei zwar nicht die Aussage enthält, der Bewertende sei Mandant der Kanzlei gewesen, jedoch, dass er sachbezogene Erfahrungen mit den von dieser angebotenen Leistungen gemacht hat und seine Bewertung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Dies kann beispielsweise, wie von der Klagepartei zutreffend ausgeführt, auch auf den Versuch, einen Termin zu vereinbaren, durch eine Reaktion auf eine schriftliche Anfrage oder eine vergleichbare Situationen zurückzuführen sein. Nicht jedoch auf Erfahrungen als Gegner eines Mandanten dieser Kanzlei. Durch die Bewertung behauptet die Beklagte folglich wahrheitswidrig mit, dass sie in einer für die Bewertung der angebotenen Leistung der Klägerin relevanten Art und Weise mit dieser in Kontakt gekommen ist, was sie als gegnerische Partei in einem Rechtsstreit mit einem Mandanten der Kanzlei jedoch nicht ist.
(Rz. 54): Gute Ergebnisse für den eigenen Mandanten werden von der gegnerischen Partei oft als negativ empfunden. Wäre es zulässig, dass die gegnerische Partei die Kanzlei in der Folge negativ bewertet, würde das zu einer Verzerrung der Bewertungen führen. Für den Betrachter der Bewertungen wäre dann nicht mehr ersichtlich, wie die angebotene Leistung in für ihn relevanter Weise bewertet wurde. Selbst eine gedachte perfekte Kanzlei, die in jedem Fall und ohne Ausnahme bestmöglich für ihre Mandaten tätig wird, liefe dann Gefahr, dass ihr Gesamtbewertungen durch etwaige negative Bewertungen von gegnerischen Parteien insgesamt nur durchschnittlich ist, was dann nicht der Wahrnehmung durch ihre Auftraggeber entsprechen würde. Für eine nach Informationen suchende Person wäre dann nicht mehr ersichtlich, dass die Kanzlei aus Sicht von deren Auftraggebern gute Arbeit leistet.
(Rz. 58): Dass die Klägerin ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, die Bewertung für alle sichtbar zu kommentieren und richtigzustellen, ist unerheblich. Mit einer solchen Kommentierung könnte die Klägerin zwar den in der Bewertung enthaltenen unrichtigen Tatsachenkern (vgl. oben) richtig stellen. Selbst danach wäre die schlechte Bewertung aber noch präsent und immer noch in den Gesamtdurchschnitt eingerechnet. Sie würde weiter ihre negative Wirkung entfalten.
Das vollständig abgefasste Urteil des Landgerichts München I gibt es ︎︎︎hier.
3.)
OLG Stuttgart, Urteil vom 31.08.2022 - 4 U 17/22,
vorgehend Landgericht Stuttgart, Urteil vom 13.01.2022, Az. 11 O 409/21
Mit Urteil vom 31. August 2022 schloss sich das Oberlandesgericht Stuttgart der Rechtsprechungslinie des Landgerichts Frankfurt I an:
OLG Stuttgart, Urteil vom 31.08.2022 - 4 U 17/22,
vorgehend Landgericht Stuttgart, Urteil vom 13.01.2022, Az. 11 O 409/21
Mit Urteil vom 31. August 2022 schloss sich das Oberlandesgericht Stuttgart der Rechtsprechungslinie des Landgerichts Frankfurt I an:
„Die Ein-Sterne-Bewertung nebst Kommentar "nicht empfehlenswert und "kritisch: Professionalität" zur Leistung eines Rechtsanwalts auf einer Internetplattform stellt ein Werturteil dar, das nach dem objektiven Sinngehalt einen Tatsachenkern aufweist, wonach die Bewertung auf Erfahrungen aus einem mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt beruht.”
In den Urteilsgründen wird festgehalten (Auszüge):
(Rz. 11): Der Beklagte war nicht Mandant des Klägers, sondern war in einem Prozess vor dem Landgericht Stuttgart (Az. 9 O 217/20) Beklagter, in dem der Kläger die Klägerseite vertreten hatte.
(Rz. 12): Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein Unterlassungs- und Löschungsanspruch zustehe, weil die beanstandete Rezension in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreife. Sie sei geeignet, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Wegen des Nichtbestehens von Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien sei im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung das Interesse des Klägers am Schutz seiner sozialen Anerkennung und seiner (Berufs-) Ehre höher zu gewichten als das Interesse des Beklagten an der Kundgabe seiner die Tätigkeit des Klägers betreffenden Wertschätzung.
(Rz. 15): Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR ersatzweise Ordnungshaft 11 O 409/21 - 4 bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, ohne zuvor eine eigene Mandatsbeziehung zur Kanzlei S... & K...., W... x, 7... M... unterhalten zu haben und ohne diesen Umstand für einen unvoreingenommenen, verständigen Durchschnittsleser erkennbar offenzulegen, innerhalb des Unternehmensprofils der vorgenannten Rechtsanwaltskanzlei beim Internet-Dienst Google My Business Rezensionen ("Google-Rezensionen") in Form von herabsetzenden Bewertungen mit einem Stern verbunden mit der Beantwortung der seitens Google aufgeworfenen Frage "Was gefällt dir nicht an diesem Unternehmen?" durch Auswahl der (Google-)Vorgabe "Nicht professionell" sowie verbunden mit eigenen Berichten des Inhalts "nicht empfehlenswert" oder kerngleichen Inhalts zu verfassen und zu veröffentlichen.
(Rz. 22): Bei der streitgegenständlichen Rezension handele es sich zwar um eine Meinungsäußerung, denn sowohl die Vergabe eines Sterns (von fünf möglichen Sternen) sei vom Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt, als auch der Bewertungstext mit den Formulierungen "Kritisch: Professionalität" und "nicht empfehlenswert". Dies sei auch keiner Beweisaufnahme zugänglich und könne nicht als "wahr" oder "unwahr" festgestellt werden. Die Bewertung enthalte aber zugleich auch die (unausgesprochene) Tatsachenbehauptung eines Mandatsverhältnisses zwischen dem Beklagten als Bewerter und der klägerischen Kanzlei als Bewerteten. Ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers komme der kommentarlosen "Ein-Sterne-Bewertung" einer Anwaltskanzlei auf Google der Aussagegehalt zu, dass der Bewertung ein Geschäftskontakt bzw. Mandatsverhältnis zugrunde liege. Denn der Durchschnittsleser von Google-Bewertungen nutze diese im Rahmen der Suche nach einem geeigneten Vertragspartner, um die für ihn bestmögliche Auswahlentscheidung zu treffen. Der Durchschnittsbetrachter rechne hingegen nicht damit, dass auch Dritte wie z. B. Gegner oder Prozessbeobachter Anwaltskanzleien in gewisser Hinsicht bewerten. Vorliegend gehe ein unbefangener Leser, der auf der Suche nach einem Rechtsanwalt die Rezension lese, davon aus, dass der Beklagte die klägerische Kanzlei als früherer Mandant bewerte und mit ihr unzufrieden sei. Dieser in der Bewertung enthaltene Tatsachenkern sei unstreitig unwahr. Der falsche Tatsachenkern führe in der Abwägung zur Rechtswidrigkeit.
(Rz. 40): Gemessen hieran handelt es sich bei der Ein-Sterne-Bewertung sowie bei den Angaben "nicht empfehlenswert" und "kritisch: Professionalität" bei isolierter Betrachtung um reine Werturteile. Der Beklagte bringt damit für den Leser zum Ausdruck, dass es sich um eine subjektive Einschätzung zur Leistung des Klägers handelt, die durch das eigene Dafürhalten geprägt und nicht dem Beweis zugänglich ist.
(Rz. 41): Nach dem Kontext der Äußerungen enthalten diese über ihren Wortlaut hinaus aus Sicht eines durchschnittlichen Lesers der Bewertung aber auch tatsächliche Elemente, da der Beklagte damit zugleich behauptet, dass er mit dem für die Bewertung der Kanzlei relevanten Leistungsangebot in Kontakt gekommen ist. Damit ist nicht zwingend die Aussage verbunden, dass der Beklagte Mandant des Klägers gewesen ist.
(Rz. 47): Im Streitfall sind deshalb die Schutzinteressen des Klägers mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Dabei ist den Schutzinteressen des Klägers der Vorrang einzuräumen. In der konkreten Gestaltung ist der tatsächliche Bestandteil der Äußerung, auf dem die Bewertung aufbaut, unwahr, wenn der behauptete leistungs- bzw. mandatsbezogene geschäftliche Kontakt nicht bestanden hat. Ein berechtigtes Interesse des Bewertenden, einen tatsächlich nicht stattgefundenen geschäftlichen Kontakt zu bewerten, ist nicht ersichtlich.
(Rz. 48): Dies ist vorliegend der Fall. Es steht außer Streit, dass der Beklagte zu keinem Zeitpunkt einen mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt zum Kläger hatte. Der Eindruck, den der Beklagte vom Kläger im Rahmen der streitigen Auseinandersetzung gewonnen hat, genügt insofern nicht. Dies gilt auch für den Kontakt im Rahmen einer Anfrage des Beklagten wegen eines möglichen Datenschutzverstoßes aufgrund des Umgangs mit Daten aus einem Klageverfahren, in dem der Kläger den Gegner des Beklagten vertreten hat. Auch dies stellt keinen mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt dar, sondern steht vielmehr im Zusammenhang mit dem Klageverfahren zwischen dem Beklagten und einer vom Kläger vertretenen dritten Person und beruht damit letztlich auf Erfahrungen des Beklagten als Prozessgegner.
Das vollständig abgefasste Urteil des OLG Stuttgart gibt es ︎︎︎hier.
Eigener Kommentar:
Die Stoßrichtung der Stuttgarter Entscheidung ist im Großen und Ganzen deckungsgleich mit der aus München. Es findet sich unter Rz. 15 jedoch eine wichtige Differenzierung, die aus hieisiger Sicht durchaus Spielräume für zulässige Bewertungen durch Prozessgegner oder mittelbare Dritte eröffnet: „und ohne diesen Umstand für einen unvoreingenommenen, verständigen Durchschnittsleser erkennbar offenzulegen”. Das Gericht bringt damit zum Ausdruck, dass eine solche Bewertung möglicherweise zulässig sein könnte, wenn deutlich gemacht wird, dass der oder die Bewertende beispielsweise Prozessgegner ist.
Diese Option hatte das Landgericht München I in seinem Urteil bereits vorausgedacht und unter Rz. 58 festgehalten:
„Dass die Klägerin ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, die Bewertung für alle sichtbar zu kommentieren und richtigzustellen, ist unerheblich. Mit einer solchen Kommentierung könnte die Klägerin zwar den in der Bewertung enthaltenen unrichtigen Tatsachenkern (vgl. oben) richtig stellen. Selbst danach wäre die schlechte Bewertung aber noch präsent und immer noch in den Gesamtdurchschnitt eingerechnet. Sie würde weiter ihre negative Wirkung entfalten.”
Nach dieser Logik ist die Auffassung des LG München I tendenziell nachvollziehbar, denn ein potenzieller Mandant oder eine potenzielle Mandantin nimmt zunächst den Gesamtdurchschnitt eines Google-Profils wahr, also beispielsweise einen Sternedurchschnitt von 4.0, der sich allein aus der Anzahl und Wertung der vergebenen Sterne speist. Es kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass jeder oder jede alle Rezensionen liest und dabei zwischen echten Mandanten und etwaigen Prozessgegnern differenziert. Dass Letztere überhaupt bewertet haben, kann also leicht übersehen werden.
Die Möglichkeit, diesen Umstand durch einen Kommentar oder Hinweis (Disclaimer) auf die Herkunft der Bewertung kenntlich zu machen, lässt das Landgericht München I daher nicht gelten, wohingegen das OLG Stuttgart durchaus eher in diese Richtung tendiert.
4.)
Landgericht Berlin II, Beschluss vom 28.02.2022 - 27 O 36/22
Landgericht Berlin II, Beschluss vom 28.02.2022 - 27 O 36/22
In einem Eilverfahren entschied das Landgericht Berlin II, Zivilkammer 27 (unter dem Vorsitz von Katharina Saar), dass dem Prozessgegner ein Bewertungsinteresse zuzugestehen sei, was dieser aber offenlege müsse:
„Die Kammer geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die durch den Bundesgerichtshof für das Arzt-Bewertungs-Portal jameda entwickelten Grundsätze jedenfalls im Wesentlichen auch für andere Bewertungsplattformen gelten. So geht der Leser einer Anwalts-Bewertung wie der vorliegenden regelmäßig davon aus, dass der Rezensent mit der anwaltlichen Leistung des bewerteten Anwalts als Mandant in Berührung gekommen ist und diese daher aus eigener Anschauung beurteilen kann. Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen, dass auch ein Prozessgegner sich zu den anwaltlichen Leistungen eines Prozessbevollmächtigten wird äußern können oder dürfen – sie legt diesen Umstand jedoch, wie hier die Antragsgegnerin, nicht für den Leser offen, sodass der Sinngehalt (nach dem allein maßgeblichen Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers: Bewertung eines eigenen Anwalts) und Realität (Bewertung des gegnerischen Anwalts) zu deutlich voneinander abweichen.”
Heißt: Wäre die Prozessgegnerschaft innerhalb der Rezension offen gelegt worden, hätte die Kammer, keine weiteren Rechtsverletzungen vorausgesetzt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Mithilfe dieser Beschlussbegründung der Zivilkammer 27 ist die beanstandete Rezension anschließend neu aufgesetzt und zusammen mit einem Disclaimer (Hinweis auf die Bewertung als Prozessgegner) erneut abgegeben worden.
Der bewertete Rechtsanwalt, der zu damaliger Zeit Kanzleisitze in Berlin und Nürnberg unterhielt, mahnte daraufhin erneut ab und stellte seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht Nürnberg-Fürth, wo sich die Zivilkammer 11 für zuständig erklärte.
5.)
Landgericht Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 13.05.2022 - 11 O 2181/22
Landgericht Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 13.05.2022 - 11 O 2181/22
Tatbestand (Auszüge): Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Bewertung der Anwaltskanzlei des Verfügungsklägers durch die Verfügungsbeklagte sowie um die Zulässigkeit von drei in der streitgegenständlichen Bewertung enthaltenen Behauptungen.
Der Verfügungskläger trägt vor, die Verfügungsbeklagte dürfe ihn als Rechtsanwalt der Gegenseite nicht bewerten. Der Tatsachenkern der im Antrag Ziffer II angegriffenen Äußerungen sei unwahr.
Die Verfügungsbeklagte trägt vor, ihre Bewertung sei eine zulässige Meinungsäußerung, insbesondere da sie klargestellt habe, Prozessgegnerin zu sein. Sie sei empört gewesen über die Arbeitsweise des Verfügungsklägers.
Entscheidungsgründe (Auszüge): Dem Verfügungskläger steht gegen die Verfügungsbeklagte der in Ziffer I geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seines Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i. V. m. Art. 2 Absatz 1 i. V. m. 1 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG und fortbestehender Wiederholungsgefahr zu. Der Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers folgt hier bereits daraus, dass es der Verfügungsbeklagten untersagt ist, ihn mit 2 von 5 Sternen zu bewerten. Da eine Bewertung auf Google My Business ohne eine Sternebewertung nicht möglich ist, ist die gesamte Bewertung bereits deshalb unzulässig.
Mit der Bewertung hat die Verfügungsbeklagte die unternehmensbezogenen Interessen des Verfügungsklägers betroffen. Hierdurch wird das durch Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 i.V.m. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers beeinträchtigt. Ein Eingriff in den Schutz der Berufsehre und des Kanzleirufs, den Schutz des sozialen Geltungsanspruchs und den Schutz des wirtschaftlichen Fortkommens liegt vor, denn die beanstandete Onlinebewertung ist geeignet, das unternehmerische Ansehen des Verfügungsklägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen, indem sie online für jeden, vor allem für potenzielle zukünftige Mandanten und Geschäftspartner, sichtbar und abrufbar ist (vgl. LG München I, Urteil vom 20.11.2019 – 11 O 7732/19 –, juris).
Darüber hinaus berührt die beanstandete Onlinebewertung das durch Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistete Recht des Verfügungsklägers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Durch die beanstandete Bewertung wird dessen wirtschaftliche Stellung beeinträchtigt. Die jederzeit abrufbare Bewertung ist geeignet insbesondere potentielle, aber auch bestehende Mandanten zu verunsichern und von Geschäften mit ihm abzuhalten. Die Beeinträchtigung weist auch die erforderliche Betriebsbezogenheit auf, denn sie richtet sich gegen die berufliche Tätigkeit des Verfügungsklägers selbst und nicht gegen jederzeit problemlos vom Betrieb ablösbare Rechte. Die Verfügungsbeklagte ist unmittelbare Handlungsstörerin, da sie die Bewertung unstreitig selbst verfasst und über Google My Business veröffentlicht hat.
Die festgestellten Beeinträchtigungen sind auch rechtswidrig. Bei der beanstandeten 2-Sterne Bewertung handelt es sich zwar um eine von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung, da diese aber einen Tatsachenkern enthält und dieser erwiesenermaßen unwahr ist, tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit der Verfügungsbeklagten im Rahmen einer Abwägung hinter die Schutzinteressen des von der Bewertung betroffenen Verfügungsklägers zurück (vgl. LG München I, Urteil vom 20.11.2019 – 11 O 7732/19 –, juris).
Allerdings liegt in der Sternebewertung auch die Tatsachenbehauptung, mit der beruflichen Tätigkeit des Verfügungsklägers bestimmungsgemäß in Berührung gekommen zu sein und diesen ohne Interessenskonflikt zu bewerten. Letzteres ist bei einem Prozessgegner von dessen Mandanten, wie es die Verfügungsbeklagte ist, nicht der Fall.
Wie aufgezeigt, ist die Onlinebewertung insgesamt als eine dem Art. 5 Abs. 1 GG unterfallende Meinungsäußerung zu qualifizieren. Dieser wohnt jedoch ein Tatsachenkern inne, tatsächliche und wertende Elemente sind folglich vermengt. Dieser innewohnende Tatsachenkern, nämlich jedenfalls nicht Gegner des Bewerteten zu sein und ohne Interessenkonflikt bewertet zu haben, ist erwiesenermaßen unwahr. Aus diesem Grund ist den Auslegungslinien der obersten Gerichte folgend den Schutzinteressen des Verfügungsklägers im vorliegenden Fall Vorrang zu gewähren. Gründe, die dafür sprechen, dass die Interessen der Verfügungsbeklagten im vorliegenden Fall trotz erwiesener Unwahrheit des in der Meinung enthaltenen Tatsachenkerns überwiegen, vermag das Gericht nicht zu sehen. Eine besondere Schutzwürdigkeit der Verfügungsbeklagten liegt nicht vor.
Daran ändert auch die Klarstellung der Verfügungsbeklagten am Ende der textlichen Bewertung, diese als Prozessgegnerin vorgenommen zu haben, nichts, denn die schlechte Sterne-Bewertung ist nach wie vor präsent und in den Gesamtdurchschnitt eingerechnet. Sie würde weiter ihre negative Wirkung entfalten.
Eigener Kommentar:
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat zwar stellenweise fallbezogen ausgeführt, eigene Überlegungen hat es aber nicht angestellt.
6.)
OLG Oldenburg (Oldenburg) 13. Zivilsenat, Urteil vom 4. Juni 2024 , Az: 13 U 110/23,
vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) 13.10.2023, Az: 5 O 560/23
Interessanter Tenor:
OLG Oldenburg (Oldenburg) 13. Zivilsenat, Urteil vom 4. Juni 2024 , Az: 13 U 110/23,
vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) 13.10.2023, Az: 5 O 560/23
Interessanter Tenor:
„Auf die Berufung des Beklagten wird das am 13. Oktober 2023 verkündete Urteil des Landgerichts Oldenburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, es zu unterlassen, auf oder zu der Website (...) im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eine „1-Stern-Bewertung“ bezüglich der Unternehmung der Klägerin mit der Anmerkung „Nein“ zu verbreiten, ohne diese Bewertung mit dem Zusatz zu versehen, nicht Mandant der Klägerin zu sein, solange zwischen den Parteien ein Mandantschaftsverhältnis tatsächlich nicht besteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.”
Die Klägerin kann von dem Beklagten die Unterlassung der streitgegenständlichen Google-Bewertung nicht uneingeschränkt verlangen. Vielmehr steht ihr ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Google-Bewertung gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG nur insoweit zu, als zwischen den Parteien kein Mandantschaftsverhältnis besteht und der Beklagte auf diesen Umstand in der Bewertung nicht hinweist.
Das OLG Oldenburg stellt die Rechtmäßigkeit der Google My Business Bewertung eines Rechtsanwalts bzw. Rechtsanwältin unter den bereits vom OLG Stuttgart angedeuteten Vorbehalt und stärkt damit die Meinungsfreiheit:
„Der Eingriff ist rechtswidrig, solange zwischen den Parteien kein Mandantschaftsverhältnis besteht und der Beklagte auf diesen Umstand in der Bewertung nicht hinweist.”
Allerdings geht es in diesem Fall nicht um eine direkte Prozessgegnerschaft, sondern um einen geschäftlichen Kontakt, der im Zusammenhang mit einem Mandatsverhältnis der Klägerin zu einer dritten Partei stand.
Das Gericht führt aus:
Und schließlich: Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Eigenart des Rechtsanwaltsberufs darin besteht, die Interessen von Mandanten zu vertreten und dass sich Bewertungen von Rechtsanwälten in erster Linie an Personen richten, die auf der Suche nach einem Interessenvertreter sind (LG München I aaO Rn. 40 ff). Vor diesem Hintergrund besitzt die Bewertung des Beklagten nicht dieselbe Aussagekraft wie die von Mandanten der Klägerin, weil für die Zielgruppe von Rechtsanwaltsbewertungen vornehmlich die Leistung des Rechtsanwalts für seinen Mandanten und sein Auftreten ihm gegenüber von Interesse ist. Die angemessene Berücksichtigung des Rechts der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Rahmen der Abwägung gebietet es daher, dem Beklagten die Bewertung nur unter der Voraussetzung zu gestatten, dass er dabei gegebenenfalls offenlegt, in keinem Mandantschaftsverhältnis zur Klägerin zu stehen.
Das Gericht führt aus:
„Der Beklagte und die von der Klägerin vertretene [...] GbR führten gegeneinander keinen Rechtsstreit, sondern standen zueinander in Geschäftsbeziehungen. Der Beklagte hatte an die [...] GbR Futter verkauft. Die [...] GbR hatte die Klägerin mit der Prüfung der Rechnungslegung des Beklagten und – unter Vorbehalt der rechtlichen Prüfung – mit dem Zahlungsausgleich beauftragt. Eine Begleichung der Rechnung unterblieb zunächst, weil die Klägerin gegen die vom Beklagten ausgestellte Rechnung formelle Bedenken hatte. Auf Bitten der [...] GbR wandte sich der Beklagte deshalb an die Klägerin, um deren rechtliche Bedenken zu klären. Daraufhin kam es am 1. März 2023 zwischen den Parteien zu einem Telefonat. Zusätzlich teilte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom gleichen Tag mit, dass die bisher vorgelegte Rechnung auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen sei, insbesondere im Hinblick auf die Angaben nach § 14 Abs. 4 i.V.m. § 14a Abs. 5 UStG. Mittlerweile ist die Rechnung beglichen.
Anders als in den vom OLG Stuttgart und vom LG München I entschiedenen Fällen liegt der Google-Bewertung des Beklagte somit ein Kontakt mit dem Leistungsangebot der Klägerin zugrunde. Vor diesem Hintergrund würde es dem hohen Stellenwert der Meinungsäußerungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2022 – 2 BvR 784/21, juris Rn. 30) nicht gerecht, dem Beklagten grundsätzlich zu untersagen, eine Bewertung des Kontakts mit der Klägerin abzugeben.”
Und schließlich: Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Eigenart des Rechtsanwaltsberufs darin besteht, die Interessen von Mandanten zu vertreten und dass sich Bewertungen von Rechtsanwälten in erster Linie an Personen richten, die auf der Suche nach einem Interessenvertreter sind (LG München I aaO Rn. 40 ff). Vor diesem Hintergrund besitzt die Bewertung des Beklagten nicht dieselbe Aussagekraft wie die von Mandanten der Klägerin, weil für die Zielgruppe von Rechtsanwaltsbewertungen vornehmlich die Leistung des Rechtsanwalts für seinen Mandanten und sein Auftreten ihm gegenüber von Interesse ist. Die angemessene Berücksichtigung des Rechts der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Rahmen der Abwägung gebietet es daher, dem Beklagten die Bewertung nur unter der Voraussetzung zu gestatten, dass er dabei gegebenenfalls offenlegt, in keinem Mandantschaftsverhältnis zur Klägerin zu stehen.
Die Abgrenzung zu den Fällen am LG München und OLG Stuttgart, die das OLG Oldenburg zu unternehmen versucht, kann nach hiesiger Meinung nicht überzeugen, denn offensichtlich kam der Beklagte gerade nicht in relevanter Art und Weise mit den Leistungen der Rechtsanwältin seines Geschäftspartners in Berührung. Ein Telefonat und geringfügiger Schriftverkehr zu einer offenen Rechnung, die später beglichen wurde, reichen nicht aus, um von einer substantiellen Auseinandersetzung mit anwaltlicher Beratung oder Vertretung zu sprechen, genau darauf stellt das Landgericht München I in seiner Rechtsprechung aber grundlegend ab.
Eher liegt der Fall so, dass sich das OLG Oldenburg der vom OLG Stuttgart offen gelassenen Möglichkeit anschließt, Bewertungen unter bestimmten Umständen auch außerhalb eines Mandatsverhältnisses bzw. relevanten Kontaktverhältnisses zuzulassen, dies jedoch nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zum Ausdruck bringen wollte. Die vom Beklagten beschriebenen Kontakte – ein Telefonat und ein begrenzter Schriftwechsel zu einer offenen Rechnung – reichen in ihrer Oberflächlichkeit nicht aus, um die Schwelle zu überschreiten, die das LG München I für eine bewertungsfähige Leistung voraussetzt.
Hinweis: Auch bloße, unbeantwortete Anrufversuche von potentiellen Mandanten begründen keinen relevanten Dienstleistungskontakt, denn in der Tatsache, dass ein Anwalt nicht ans Telefon geht oder nicht zurückruft, liegt für sich genommen kein inhaltlich qualifizierter Mehrwert, der eine Bewertung rechtfertigen würde.
Der Wille zu mehr Meinungsfreiheit auf dem Gebiet der Anwaltsrezensionen durch Prozessgegner oder mittelbare Dritte ist vorhanden, wird von den Oberlandesgerichten bislang jedoch nur zögerlich und unscharf aufgegriffen und beantwortet. Dabei ist die grundsätzliche Denkrichtung, Rezensionen in Abhängigkeit von der Rollen- oder Funktionsoffenlegung des Bewertenden für zulässig zu halten, nachvollziehbar und geboten.
Die überwiegende Zahl der Rechtsanwaltskanzleien operiert als privatrechtlich organisierte Dienstleister mit eigenem wirtschaftlichem Interesse. Vor diesem Hintergrund erscheint die elitäre und mit besonderer Empfindlichkeit geschützte Behandlung der Anwaltschaft als Interessenvertreter nicht überzeugend, und erst recht nicht gerechtfertigt.
„Die Antragstellerin kann zwar als juristische Person des Privatrechts auch Träger der in § 823 BGB genannten Rechte sein, insbesondere genießt sie den von § 823 BGB gewährleisteten Schutz am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. [...] Eine scharfe Kritik müsste die Antragstellerin als Meinungsäußerung hinnehmen. Als juristische Person des Privatrechts kann sie bereits begrifflich nicht in ihrer Intimsphäre verletzt sein, sondern allenfalls im Rahmen ihres Geltungsanspruchs als Unternehmen in ihrer Sozialsphäre. Aus diesem Grunde haben juristische Personen des Privatrechts auch unsachliche Kritik grundsätzlich hinzunehmen.“
(OLG Hamm, Urt. v. 01.06.2018 – 4 U 217/18 und 218/18, Rz. 18)
Gerade weil Rechtsanwälte als wirtschaftlich tätige Akteure am Markt auftreten, mit Marketingstrategien, Mandatsakquise und digitaler Präsenz, müssen auch sie sich im Rahmen des verfassungsrechtlich geschützten Meinungskampfs Kritik, unabhängig von ihrer Herkunft, gefallen lassen, selbst wenn diese unbequem oder zugespitzt formuliert ist.
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