Frauen in der Justiz
Als ich am Samstag eine Recherche zu Berlins erster Amtsanwältin wieder in mein Bewusstsein rief, erinnerte ich mich an eine Fragestellung der Berliner Staatsanwaltschaft:
„Wann in Berlin zum ersten Mal eine Frau das Amt einer Staatsanwältin übernommen hat, ist hingegen nicht leicht zu rekonstruieren – möglicherweise schon 1949, gesichert jedenfalls im Jahr 1957.“ Zuerst begegnete mir Hilde Benjamin, die eingeweihten Juristen vermutlich eher ein Begriff ist als mir. Bei der Recherche über Benjamin fiel mir auf, dass sie im Mai 1945 in Berlin Lichterfelde-Steglitz von der SMAD (Sowjetische Militäradministration Deutschland) zur Staatsanwältin, möglicherweise sogar zur Oberstaatsanwältin, ernannt wurde.
Damit war Hilde Benjamin im Jahr 1945 Staatsanwältin in Berlin, jedoch nach den Maßgaben und der Rechtsordnung der sowjetischen Besatzungsbehörde
(︎︎︎Quelle, Bundesstiftung Aufarbeitung). Eine Frau, die mehr darüber wissen dürfte, ist Marianne Brentzel (︎︎︎Quelle). Am 30. Oktober 1949 berichtete die Zeitschrift NEUES DEUTSCHLAND von einer jungen Volks-Staatsanwältin in Berlin, die mit ihrer Erscheinung eine ganz andere Atmosphäre in den grauen Gerichtssaal gebracht haben will (Artikel und Quelle s. unten). Die Schreibart ist überspitzt-satirisch, was für die damalige Zeit wohl nicht unüblich war. Ob es sich um eine reale Beobachtung vor Gericht oder um eine Fantasie handelt, ist unklar. In den Schriften von
Marion Röwekamp, Quantität als Erfolgsgeschichte? Frauen in der Justiz der DDR, konnte ich lesen, dass eine Käte Fröhbrodt 1951 Staatsanwältin beim
Generalstaatsanwalt der DDR war, darüber hinaus stellvertretende Abteilungsleiterin und später
Abteilungsleiterin. (︎︎︎Quelle, S. 5, hervorgehoben). Zurück auf den Seiten der Bundesstiftung Aufarbeitung fand ich einen Hinweis auf den Rocksänger André Herzberg aus Pankow, dessen Mutter Staatsanwältin gewesen sein soll. Über Umwege ließ sich der Name der Mutter verifizieren: Ursula. Bei der weiteren Recherche stieß ich auf das Archiv “NEUER WEG”, und darin auf einen Artikel aus dem Heft 4/35, Jg. 1954:

Quelle:
︎︎︎Neuer Weg, Organ des Zentralkomitees der SED für alle
Parteiarbeiter 1954, Heft 4/35, ︎︎︎PDF

„Die Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und der Rechte der Gewerkschaften habe ich mit freudigem Herzen begrüßt“, sagt die junge Staatsanwältin, Genossin Ursula Herzberg, „weil unsere Regierung damit wieder einmal bewiesen hat, daß sie sich rückhaltlos für die Interessen der werktätigen Bevölkerung einsetzt. Als Leiter einer Bezirksstaatsanwaltschaft in Berlin gehört es mit zu meinen wichtigsten Aufgaben, auch darüber zu wachen, daß alle diese Maßnahmen, die der Gesundheit und Sicherheit des Lebens unserer Arbeiter dienen, tatsächlich von den Werkleitungen beachtet und durchgeführt werden und daß die mir unterstellten Staatsanwälte im Bezirk gegen Schlamperei und sträfliche Oberflächlichkeit mit aller Strenge des Gesetzes vorgehen.”
Als junges Mädchen mußte Genossin Ursula Herzberg Deutschland verlassen, um nicht Opfer des faschistischen Terrors zu werden. Als sie nach Deutschland zurückkehren konnte, schloß sie sich begeistert der Partei der Arbeiterklasse, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, an, um an vorderster Stelle für ein anderes, besseres Deutschland zu kämpfen. Nach dem Besuch der Kreisparteischule war sie erfaßt von dem brennenden Wunsch, Jurist zu werden. Sie studierte fleißig und wurde 1951 Volksrichter. Entschlossen nahm sie den Kampf gegen die Feinde der Arbeiterklasse auf. Die Genossen der Parteiorganisation im Landgericht Berlin wählten sie 1952 wegen ihres kämpferischen und kompromißlosen Auftretens zu ihrem Parteisekretär. Jetzt übt sie die hohe und verantwortliche Funktion des Leiters einer Bezirksstaatsanwaltschaft in Berlin aus. (Neuer Weg, Jg. 1954)”
NEUES DEUTSCHLAND
30. Oktober 1949
30. Oktober 1949

„Die junge Volks-Staatsanwältin
— ihre Erscheinung brachte eine ganz andere Atmosphäre in den grauen
Gerichtssaal — ließ sich von einem Kurt keinen Bären aufbinden.
Er kassierte elf Monate Gefängnis
und ließ sich beleidigt wieder die Handschellen anlegen. Ob ihn diese
elf Monate zur Räson bringen werden?”
Quelle: ND-Archiv, 30. Oktober 1949 / NEUES DEUTSCHLAND / Nr. 255, Seite 6, ︎︎︎PDF

Berlin, am 24.12.2024 © Buckminster NEUE ZEIT, Merry Christmas