Bildung des Berichterstatters


Abgeschlossenes Jurastudium im Jahr 1999

“Überall Schöffen am Bundesgerichtshof”

[...] In den Jahren des intensiven Prozessierens ist mir eine bittere Realität bewusst geworden: Wäre der Justizapparat in Berlin mit dem Bau von Flugzeugen betraut, würden überwiegend Maschinen auf den Markt gebracht werden, die ruckeln, abstürzen und Tote produzieren. Tatsächlich habe ich länger über eine Metapher oder ein Sinnbild nachgedacht, das meiner Erfahrung mit der Justiz in Berlin gerecht werden könnte, und finde das Flugzeug ziemlich passend. Vor zwei Jahren bin ich gutgläubig in die ersten gerichtlichen Auseinandersetzungen gegangen. Habe Geld in die Hand genommen und Langstreckenflüge gebucht. Anstatt mit einer herausgeputzten, hochtechnologischen und funktionstüchtigen Boeing über herrliche Ozeane zu gleiten, stieg ich, ohne es zu wissen, in eine Maschine ein, deren Flugweg und Odyssee doch stark an das Buch “Als ich vom Himmel fiel” erinnert. Bereits nach kurzer Zeit am Himmel brachen heftige Gewitter aus, die ganze Reise dürfte ruckelig werden, schoss es mir durch den Kopf. Zugespitzt formuliert kamen Vogelschlag, Schwerstregen und monströse Blitze hinzu. Einer dieser Monsterblitze schlug dermaßen stark ein, dass die Maschine in Flammen aufging, auseinanderbrach und mich, die nicht ohne Grund angeschnallt bleiben wollte, nebst Schalensitz aus dem Flugzeug geschleudert und frei durch die Luft fliegen lassen hat. Ist das alles ein schlechter Traum, wo bleibt der Herzinfarkt, warum rase ich mit einem Affenzahn auf Bäume zu, die wie riesengroßer Broccoli aussehen? Ehe ich Antworten auf meine drängenden Fragen erhalte, rauscht der Schalensitz mit mir durch eben dieses baumgewordene Gemüse, das noch rechtzeitig so freundlich ist, meinen freien Fall abzubremsen. Wer noch nie dicke Kratzer oder Pickel im Gesicht hatte, wird dank vorbeischrammender Äste und Zweige Furchen erleiden, die später als Narben des Lebens durchgehen. Die, die gerade noch mit einer schönen Boeing fliegen wollte, klatscht auf den Boden der Tatsachen und wird erst Stunden später mit einer Gehirnerschütterung, gebrochenen Gliedmaßen und offenen Wunden wieder aufwachen. Im Anschluss darf sich die abgestürzte Passagierin durch das verwobene Dickicht eines erbarmungslosen Urwalds kämpfen und zusehen, dass sie nicht die Orientierung, ihren Mut und ihre Zuversicht verliert. Es wird ein Kampf ums Überleben werden […] Der Flugzeugbauer “Justiz im Land Berlin” hat mich in eine Maschine mit diesen Eigenschaften gesetzt: Am Amtsgericht Charlottenburg steigen Piloten ein, die noch nie in ihrem Leben Langstrecke geflogen sind. Das Bordbuch haben sie auch vergessen. Wer mit dem Amtsgericht Charlottenburg zu tun hat, erhält entweder zu wenig Kerosin oder es werden von Beginn an Löcher in die Tanks gestanzt. Weiter geht die Reise. Wer mit der Zivilkammer 27 zu tun hat, dem reißen mindestens ein Flügel und eine Turbine ab. Eine weitere Turbine wird auf dem Flug in Flammen aufgehen. Weiter geht die Reise. Wer mit der Amtsanwaltschaft Berlin und dem Amtsgericht Tiergarten zu tun hat, dem wird die Flugzeugnase zerbeult. Mindestens. Insgesamt kommt die Maschine aber glimpflich davon. Weiter geht die Reise. Wer mit der Staatsanwaltschaft Berlin und der Polizei Berlin zu tun hat, der verliert das linke Fahrwerk. Übrigens komplett, und nicht nur einzelne Schrauben. Weiter geht die Reise. Wer mit der Generalstaatsanwaltschaft Berlin zu tun hat, dem wird das rechte Fahrwerk abmontiert, damit der Rumpf ordentlich aufschrammt und über den Boden kratzt. Landeklappen werden manipuliert. Das Flugzeug, wenn es nicht vorher schon explodiert ist, wird durch Zäune rasen, Bäume ummähen und erst tief im Wald zum stehen kommen. Weiter geht die Reise. Wer mit den Zivilkammern 6 und 46 zu tun hat, verliert beide Tragflächen. Der gesamte Flug wird dann sinnlos. Die Maschine muss, wenn nicht noch ein Wunder passiert, zum “Gleitflug” ansetzen und ein freies Feld zum Landen finden. Weiter geht die Reise. Wer mit dem Kammergericht Berlin zu tun hat, verliert sämtliche Türen, Flugwesten und Notfallvorrichtungen. Darüber hinaus fällt die Versorgung mit Licht und Sauerstoff aus. Bis zum Landeanflug müssen Passagiere entweder die Luft anhalten oder in Zeitlupe atmen. Weiter geht die Reise. Wer mit der Zivilkammer 64 zu tun hat, dem wird das gesamte Flugzeugdach abgerissen. Das Flugzeug fliegt dann im Cabriomodus weiter und wird geneigt sein, freiwillig vom Himmel zu fallen. Passagiere hängen nur noch an ihren Gurten in der Maschine. Der Sog ist so stark, dass die Passagiere nicht nur ihre Kleidung, sondern auch sämtliches Gepäck, das sie jemals besaßen, für immer verlieren. Piloten aktivieren den Schleudersitz und verlassen mit zynischem Lächeln das Flugzeug. Die Maschine ist ab sofort im Blindflug unterwegs, einzelne Passagiere übernehmen das Steuer und lernen schnell. Wie es mit der Boeing weitergeht, steht in den Sternen. Da sie sich trotz aller Unglücke und Schikanen wacker am Himmel gehalten und ihre Menschen, wenn auch nackt, durch Tag und Nacht geflogen hat, wird sie ihre Reise auf unbekanntem Terrain weiter fortsetzen wollen […] Quicklebendig und mit offenem Visier.