Berufung 10 U 61/21


Zu der Frage, ob eine modifizierte Einstweilige Verfügung einer weiteren (neuen) Vollziehung durch den Verfügungskläger oder dessen Bevollmächtigten bedurfte. Eine amtswegige Zustellung kam bzw. kommt als Vollziehungsgedanke nicht in Betracht, da das Landgericht Berlin das vollständig abgefasste Urteil erst weit nach Ablauf der gem. § 929 ZPO geltenden vierwöchigen Vollziehungsfrist zugestellt hat. Der Antragstellervertreter meint (hilfsweise), mit der erfolgten Aufforderung zur Abschlusserklärung, wohlbemerkt bevor den Parteien überhaupt die Urteilsbegründung des Landgerichts zuging, sei der Vollziehungswille hinreichend zum Ausdruck gebracht worden, im Übrigen bedurfte es aber gar keiner weiteren Vollziehung der Verfügung, da es sich bei der am 25.03.2021 erlassenen Urteilsverfügung lediglich im eine unwesentliche Abänderung gehandelt habe, so die Auffassung des klägerischen Rechtsanwalts. In der mündlichen Sitzung vom heutigen 13.04.2023 kam zur Geltung, dass dem Antragstellervertreter kurz nach der Widerspruchsverhandlung vom 25.03.2021 sogar eine verkürzte vollstreckbare Ausfertigung der modifizierten Verfügung vorlag, diese wurde jedoch nie im Parteibetrieb zugestellt. Heute nun, nach über 2 Jahren, die das Verfahren in I. und II. Instanz angedauert hat, sprach der zuständige 10. Senat des Kammergerichts Berlin dem Verfügungskläger die Empfehlung aus, seinen auf Erlass gerichteten Antrag zurückzunehmen. Am Ende der ca. 45-minütigen Sitzung kam der Verfügungskläger dieser Empfehlung schließlich nach. Inhaltlich wurde das Verfahren durch die Richter nicht bewertet, ggf. um mit Blick auf die noch laufenden Verfahren nicht vorgreiflich zu sein. Mit ihrer Empfehlung der Antragsrücknahme, die zur Überraschung der Berufungsklägerin und ihrem Rechtsanwalt gleich zu Beginn der Sitzung in aller Deutlichkeit ausgesprochen wurde, haben nunmehr auch diese Richter eine 180-Grad-Wende vollzogen und ein stimmiges Gesamtbild abgegeben. 



Beteiligte Richter

Dr. Oliver Elzer (Richter am Kammergericht Berlin, 10. Zivilsenat, stellv. Vorsitzender), RiKG Schneider (Richter am Kammergericht Berlin, 10. Zivilsenat), RiKG Frey (Richter am Kammergericht Berlin, 10. Zivilsenat)


Protokoll
aufgenommen in der öffentlichen Sitzung des Kammergerichts, 10. Zivilsenat,
am Donnerstag, 13. April 2023 in Berlin

Auszüge

“erscheinen bei Aufruf der Sache

die Verfügungsbeklagte und Berufungsklägerin (im Folgenden: Verfügungsbeklagte) und für sie und die HERTIN und Partner Rechts- und Patentanwälte PartG mbB, Rechtsanwalt Dr. Hermann-Josef O.

der Verfügungskläger und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Verfügungskläger) und für ihn Rechtsanwalt Michael E.

Rechtsanwalt Dr. O. stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 9. August 2021, nämlich

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. März 2021 – 27 O 480/20 – abzuändern und die einstweilige Verfügung vom 5. Januar 2021 unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufzuheben.

Rechtsanwalt E. beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Vorgelesen und genehmigt.

Die Sach- und Rechtslage wird erörtert. Der Vorsitzende erläutert, der Senat sei der Ansicht, der Verfügungskläger habe die Vollziehungsfrist versäumt. Die Berufung sei bereits aus diesem Grunde erfolgreich.

Der Senat gehe nämlich davon aus, dass die Urteilsverfügung erneut zu vollziehen gewesen sei. Zwar habe der Verfügungskläger das an ihn gerichtete Schreiben vom 3. Dezember 2020 bereits als (nicht nummerierte) Anlage seinem Antrag vom 22. Dezember 2020 beigefügt. Auch sein Antrag habe sich, wie sich jedenfalls aus seiner Stellungnahme vom 5. Januar 2021 ergebe, (auch) auf dieses Schreiben bezogen. Die Beschlussverfügung habe sich aber in ihrer Formel nur auf die Internetadresse „https://XXX“ bezogen. Dies sei nach ihrem Wortlaut eine andere Verletzungsform. Zwar könne man anhand der Gründe erkennen, dass sich das Landgericht wohl nur oder auch auf das Schreiben beziehen wollte und meinte, dass das Schreiben vom 3. Dezember 2020 auf der Homepage veröffentlicht worden sei. Diese Inbezugnahme reiche aber nicht aus. Indem der Verfügungskläger sich in der Sitzung vom 25. März 2021 konkret auf das Schreiben vom 3. Dezember 2020 bezogen habe, liege daher zwar keine Antragsänderung, wohl aber eine so wesentliche Abweichung von der Beschlussverfügung vor.

Die Urteilsverfügung habe daher vollzogen werden müssen. Hieran fehle es. Zwar sei die Vollziehung einer durch Urteil ergangenen und somit von Amts wegen zugestellten Unterlassungsverfügung auch anders als durch Zustellung im Parteibetrieb denkbar (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 – IX ZR 36/92, Randnummer 22 – juris; BGH, Urteil vom 13. April 1989 – IX ZR 148/88, Randnummer 26 – juris). Der BGH lasse jede urkundlich belegte, jedenfalls leicht feststellbare Maßnahme ausreichen (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 – IX ZR 36/92, Randnummer 41 – juris). Ob eine solche „Maßnahme“ mit der Anlage Ast 12 vorliege und die Umstände ihres Zuganges reichten, lasse der Senat aber offen.

Die Besonderheit des Falles liege darin, dass das Landgericht entgegen § 315 Absatz 3 Satz 1 ZPO das Urteil nicht binnen drei Wochen vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übermittelt habe. Es habe also bis zum Ablauf der Vollziehungsfrist keine Amtszustellung gegeben. Jedenfalls für einen solchen Fall meine der Senat, dass es einer förmlichen Vollziehung durch den Gläubiger bedürfe. Mit dieser Ansicht weiche er nicht von der BGH Rechtsprechung ab: Im Fall BGH, Urteil vom 13. April 1989 – IX ZR 148/88 – habe die Amtszustellung eine Woche nach der Verkündung zugestellt worden sei. Im Fall BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 – IX ZR 36/92 – sei es hierauf nicht angekommen.

Nunmehr erklärt Rechtsanwalt E.:

Ich nehme für den Verfügungskläger den Antrag zurück.

Vorgelesen und genehmigt.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.”


Tel.: 0302888360
Mail: Office@Buckminster.de

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“Das ist wirklich abenteuerlich, was der Senat dort versucht hat. Die BGH-Rspr. aus den 80-igern (!) spielt praktisch keine Rolle.”

“Konstruiert und vom Ergebnis her gedacht”

“Es menschelt [...] und das hat da nichts zu suchen”

Thomas Hagen, Rechtsanwalt