Schreiben von Bernd Pickel – Der Präsident des Kammergerichts, Thema: Gesunde Fehlerkultur; Antwortschreiben vom 11. Mai 2023


︎Brief Bernd Pickel, KG Berlin

“Ihre Darlegung, die sehr unbestimmt ist und lediglich an der Oberfläche bleibt, unterlässt es (wohl beabsichtigt), auf den konkreten Sachverhalt einzugehen und einen Prozessschaden in Höhe von mind. 3.021,85 € anzuerkennen. Sie erwecken wissentlich den falschen Eindruck, als habe die 27. Kammer des Landgerichts Berlin in der Sache 27 O 36/22 eine vertretbare Entscheidung getroffen, die es hinzunehmen und zu akzeptieren gelte. Sie werfen mir —ebenfalls wissentlich falsch— vor, ich würde die richterliche Unabhängigkeit pauschal negieren. Und schließlich gehen Sie auch davon aus, Richter/innen seien unfehlbar.”


Worum geht es?

Die Pressekammer des Landgerichts Berlin, damalig durch die Ri’inLG Dr. Saar als Vorsitzende vertreten, hatte im Februar 2022 darüber zu entscheiden, ob die Bewertung eines Rechtsanwalts durch den Prozessgegner auf dem anwaltlichen Google My Business Profil zulässig ist. Das Landgericht München entschied bereits 2019, dass in dieser Konstellation, und mangels eines Mandantenverhältnisses, keine Bewertung abgegeben werden dürfe. Das Gericht begründete seine Ansicht damit, dass bei Google keine Möglichkeit der kritischen Meinungsäußerung bzw. Bewertung ohne die Abgabe sogenannter „Sterne“ besteht, diese Sternvergabe würde sich zwangsläufig immer sichtbar auf das Gesamtergebnis des oder der Bewerteten auswirken, weswegen eine Kanzlei, auch wenn sie zu 100% zufriedene Mandanten betreut, nie auf eine volle 5-Sterne Bewertung käme. Die Abgabe einer Rezension als Prozessgegner sei bereits wegen eines oder mehrerer Sterne (Null Sterne sind bekanntlich nicht möglich) unzulässig, da die Sterne unmittelbar optisch das Gesamtranking beeinflussten. Interessenten würden sich stets zuerst mit dem optischen Sterneergebnis konfrontiert sehen, und seltener die Bewertungstexte lesen. Ein Interessent an anwaltlicher Leistung, so die Auffassung der Richter am Landgericht München, könne bereits aufgrund des bloßen Sternelevels abgeschreckt sein, wenn sich dies in einem Bereich von 3,5 Sternen oder weniger bewegt. Die Zusammensetzung stelle einen Mix aus bspw. zufriedenen Mandanten (vergeben 4-5 Sterne) und unzufriedenen Prozessgegnern oder Kritikern (vergeben max. 1-3 Sterne) dar. Schließlich, so urteilten die Richter auch, würde dem Beruf des Anwalts als Interessenvertreter eine besonders schützenswerte Bedeutung zukommen. Der Bewertung liege auch ein unwahrer Tatsachenkern zugrunde, da mit ihr behauptet wird, ein Mandatsverhältnis habe vorgelegen, was bei Prozessgegnern regelmäßig nicht der Fall ist.

u.a. LG München I, Endurteil v. 20.11.2019 – 11 O 7732/19

zuletzt LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 13.05.2022 – 11 O 2181/22

Auf das landgerichtliche Urteil 11 O 7732/19 des LG München bezog sich auch die 27. Kammer, als sie im Einstweiligen Verfügungsverfahren 27 O 36/22 vor der Frage stand, ob die Bewertung von Rechtsanwalt E. aus der Sicht eines Prozessgegners zulässig sei. Die 27. Kammer unter der Vorsitzenden Richterin Dr. Saar verneinte zwar die Zulässigkeit, räumte mir jedoch in der Beschlussbegründung einen scheinbar rechtssicheren Handlungsspielraum ein (Disclaimer setzen, Prozessgegnerschaft kenntlich machen):

„Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen, dass auch ein Prozessgegner sich zu den anwaltlichen Leistungen eines Prozessbevollmächtigten wird äußern können oder wollen. Legt er diesen Umstand jedoch, wie hier die Antragsgegnerin, nicht für den Leser offen, weichen Sinngehalt (nach dem allein maßgeblichen Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers: Bewertung eines eigenen Anwalts) und Realität (Bewertung des gegnerischen Anwalts) unzulässig voneinander ab."

LG Berlin, Beschluss v. 28.02.2022 – 27 O 36/22

Der 27. Kammer war bekannt, dass der Antragsteller, also Rechtsanwalt E., sowohl in Berlin als auch in Nürnberg seinen Kanzleisitz (Wohnzimmerkanzlei) hat. Die Kammer hätte, da sie den Handlungsspielraum mit Blick auf eine praktische Umsetzung durch mich sehr bewusst einräumte, vorhersehen können, dass Rechtsanwalt E., sobald eine erneute Bewertung ohne Mandatsverhältnis abgegeben wird, das Landgericht Nürnberg-Fürth anrufen würde, um dort eher Recht zu bekommen. So geschah es, und der sicherlich gut gemeinte aber lediglich trügerische Handlungsspielraum erwies sich als falsch, denn Rechtssicherheit wurde mir damit (zu meiner Überraschung) nicht gewährleistet, da sich das LG Nürnberg-Fürth der freihändigen Auslegung des LG Berlin widersetzte und auf die Rechtsprechungslinie des LG München zurückverwies. Urteilsgründe, die den Berliner Richtern nicht bekannt gewesen wären, schrieben die Nürnberger Richter nicht nieder, sie vertieften aber die Ansicht, dass eine Meinungskundgabe ohne Einfluss auf das Sterneergebnis nicht möglich und deshalb unzulässig ist, zudem würde nachweislich ein unwahrer Tatsachenkern vorliegen, da mit der Abgabe der Bewertung behauptet wird, ein Mandats- oder Vertragsverhältnis hätte vorgelegen, was nicht der Fall ist.

Der kausale Zusammenhang drängt sich auf: Wäre es durch den Beschluss des LG Berlin zu keinem vermeintlich rechtssicheren Handlungsspielraum gekommen, der mir eingeräumt wurde, hätte ich keine neue Bewertung für den Rechtsanwalt abgegeben. Demzufolge hätte der antragstellende Anwalt auch keinen neuen Grund gehabt, ein weiteres Gericht anzurufen und erneut den Erlass einer Einstweiligen Verfügung zu beantragen; dem Antrag wurde, wie Sie wissen, fast vollumfänglich stattgegeben, in Folge dessen lastete mir das Landgericht Nürnberg-Fürth 100% der Kosten an.

In Summe ist ein Prozessfolgeschaden in Höhe von 3.021,85 € entstanden, der vermeidbar gewesen wäre. Die Verantwortung hierfür tragen die Richter der 27. Kammer zu 100, mind. jedoch zu 50 Prozent. Den Schaden wollte und möchte ich der Höhe nach ersetzt haben, was Sie mir mit neuerlichem Schreiben vom 02.05.2023 verweigern. Ich habe mindestens fünf Versuche unternommen, die Richter, den Landgerichtspräsidenten, die Senatsverwaltung und Sie, als letzte Instanz, zur Einsicht und zu einer angemessenen Fehlerkultur zu bewegen — alles ohne Erfolg.

Auch hatte ich angeboten, da die neu abgegebene Bewertung meine freie Entscheidung war, lediglich 50% des erlittenen Schadens ohne Zinsen einzufordern, also 1.510,93 €, stieß jedoch überall auf taube Ohren, und, was im deutschen Rechtssystem die Regel zu sein scheint, auf Arroganz und unhaltbare Belehrungen.

Die ergangene Entscheidung des LG Berlin (Az.: 27 O 36/22) ist Unrecht, das die Richter angesichts des Urteils des LG München aus 2019 (!) hätten vorhersehen müssen. Zumal die Kammer auch keine Stelle zitieren konnte, woher sie ihren großzügig eingeräumten Handlungsspielraum in Form eines Disclaimers genommen hat. Die Kammer hat sich mit dem Rechtscharakter der Bewertungsunzulässigkeit sehr fahrlässig auseinandergesetzt.

Sie schreiben:

„Ihre Zuschriften beschränken sich im Kern auf Ihre Ansicht, die gegen Sie ergangene gerichtliche Entscheidung sei Unrecht und hätte Ihnen Schaden verursacht.“

Es handelt sich hierbei nicht lediglich um eine „Ansicht“, und auch nicht um meine persönliche Ansicht, denn dass die Beurteilung durch die 27. Kammer in dem konkreten Fall schadenproduzierendes Unrecht ist, wurde (indirekt) durch drei unabhängige (!) Gerichte bestätigt, nämlich einmal durch das Landgericht München I, und ein zweites Mal durch das Landgericht Nürnberg-Fürth, ein drittes Mal durch das Landgericht Stuttgart.

Würden Sie den Richtern der aufgezählten Landgerichte auch mitteilen, dass ihre Urteile im Kern lediglich „Ansichten“ (ohne Gemeingültigkeit) seien?

Sie schreiben:

„Damit negieren Sie, dass gerichtliche Entscheidungen, die von unabhängigen Richterinnen und Richtern getroffen werden, von den Gerichts- und Justizverwaltungen, aber auch —wenn sie wie in Ihrem Fall nicht mehr mit in der Prozessordnung enthaltenen Rechtsmitteln angegriffen werden können— auch von den Parteien respektiert werden müssen.“

Daran sind gleich zwei Dinge falsch. Erstens findet die richterliche Unabhängigkeit dort ihre Grenzen, wo fahrlässige, unvertretbare und willkürliche Entscheidungen getroffen werden. Zweitens war die Entscheidung des LG Nürnberg-Nürnberg Fürth ihrerzeit durchaus mit den in der Prozessordnung enthaltenen Rechtsmitteln angreifbar. Die Entscheidung der Richter wurde aber deshalb nicht angegriffen, da das zuständige Oberlandesgericht absehbar zu keinem vom landgerichtlichen Urteil abweichenden oder es aufhebenden Ergebnis gekommen wäre. Diesen Punkt erklärte ich bereits, Sie stellen es aber so dar, als wäre entweder eine Frist verpasst worden oder die Berufung willkürlich nicht eingelegt worden. Beides ist nicht der Fall. Auf die Berufung wurde nach weiterer ausführlicher anwaltlicher Beratung verzichtet, da diese absehbar nicht erfolgreich gewesen wäre. Hätten Sie Berufung eingelegt oder einlegen wollen? Wohl kaum, außer Sie möchten Ihre finanziellen Verhältnisse (geradezu suizidal) verschlechtern.

Da Ihnen offenbar jedes Verständnis für den Schadenseintritt fehlt, sehe ich mich gezwungen, eine Milchmädchenrechnung zu eröffnen:

Schaden 1. Instanz: 3.021,85 €

Drei Landgerichte (München, Nürnberg-Fürth, Stuttgart) bestätigen die Unzulässigkeit der Bewertung. Sie beklagen, dass ich gegen das abweisende Urteil keine Berufung eingelegt habe (!).

Schaden 1. und 2. Instanz: 5.435,28 €,

für den Fall, dass Berufung eingelegt worden wäre.

Sind 3.021,85 € Schaden nicht genug?



Interessant werden Sie finden, dass es tatsächlich einen Einzelfall gegeben hat, der gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart Berufung eingelegt hat. Das Oberlandesgericht Stuttgart wies die Berufung als unbegründet zurück, OLG Stuttgart, Urteil vom 31.08.2022 - 4 U 17/22

Haben Sie etwas nicht verstanden und noch weitere Fragen zu der Thematik?




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