Landgericht Berlin I: Arne Semsrott Prozessbericht – Wie im Irrenhaus


[Anmerkung: Der wegen Verstoßes gegen § 353d StGB angeklagte Arne Semsrott wurde heute unter dem Vorsitz von Bo Meyer zu einer Verwarnung verurteilt. Das Landgericht Berlin I (Kriminalgericht) verhängte 20 Tagessätze à 50,00 €; eine Bewährungszeit von 1 Jahr wurde festgesetzt.]

Der Berichterstatter verfolgt seine ganz eigene Herangehensweise an Prozessberichte und nutzt hier und heute wieder die Gelegenheit, frei zu berichten. Der Fokus liegt weniger auf der Anklage, als auf dem, was sich im Laufe des Prozesses aus einer nicht-inszenierten, menschlichen Perspektive zugetragen hat. Dabei wird sichtbar, wo die Justiz Missstände verbirgt, die dringend behoben werden sollten.


Am ersten Prozesstag, Mittwoch 16.10.2024, öffnete sich für die Prozessbeteiligten sowie für Presse und Zuhörerschaft der Saal 700 des Kriminalgerichts in der Berliner Turmstraße. Für den zweiten Verhandlungstag wurde der Hochsicherheitssaal 142 auserkoren – nicht ohne Grund: Die Justiz zeigt, was sie hat. Wie ein Pfau, der stolz sein Federnkleid präsentiert und sich demonstrativ seinen Beobachtern zuwendet. Das Gericht möchte in höchstem Maße professionell wahrgenommen werden, was die Richterschaft unter dem Vorsitz von Bo Meyer zweifellos erfüllt. Meyer ist ein aufmerksamer und eloquenter Richter, dem man gerne zuhört. Seine Urteilsbegründung, mit einer Länge von 45 Minuten, mag zwar etwas langatmig gewesen sein, doch Bo Meyer ließ es sich nicht nehmen, alle denkbaren Aspekte und Perspektiven seiner Urteilsfindung detailliert darzulegen und diese den 35 Zuhörern sowie der anwesenden Presse nahezubringen.


Exakt 35 Zuhörer werden reingelassen, die wenigen Pressevertreter haben Vorrang. Nur sie dürfen in der 1. Reihe sitzen und digitale Geräte für ihre Mitschriften verwenden. Wenige Minuten vor dem Einlass in Richtung Saal erscheint Lisa Jani, die Pressesprecherin des Gerichts für Strafsachen, im grünen Outfit auf dem Flur, zusammen mit einer weiteren, jüngeren Dame im gestrickten hellen Pullover mit dunklen Streifen und einem Pappbecher Kaffee in der Hand. Den Kaffee nehme ich als unprofessionell wahr.


Unten vor dem Saal muss die "Crowd" noch eine ganze Weile warten. Der Mann rechts von mir, im dunkelblauen Pullover mit dutzenden Materialknötchen, zieht einen großen Pott Schrozberger Joghurt hervor, den er sogar im Saal in der Hand halten und daraus essen wird. Neben ihm steht Wildlederwesten-Achim (Name frei erfunden), beide unterhalten sich freundschaftlich. Wildlederwesten-Achim trägt ein sichtbares Büschel Haare auf der Nasenspitze (kein Witz) und an seiner rechten Hand einen goldenen Ehering. Ich frage mich, welche Frau oder welcher Mann diese partielle Ungepflegtheit anziehend findet. Schon der bloße Anblick stößt mich ab.


Bei der Planung des Saals wurden Fehler gemacht. Die Wand im Wartebereich sieht jetzt schon schmuddelig aus – durch Anlehnen, Materialabschürfungen und Fingerfett. Unschön. Warum wurden die Wände in diesem Bereich nicht einfach in einem passenden Anthrazitton gestrichen?


Lisa Jani plaudert unangemessen mit den anwesenden Pressevertretern. In solchen Momenten verliert sie ihre Autorität, die bei ihr ohnehin keine natürliche ist.


Der Einlass: Eine gehbehinderte Person mit pink-blonden Haaren und Schiebermütze darf in die erste Reihe rollen. Sie erhält zu Recht viel Verständnis, tritt jedoch laut und pampig auf. Sofort fordert sie, dass ihre Betreuerin neben ihr sitzen solle, was der gewichtige Justizmitarbeiter ablehnt. Die Pink-Blonde wird ausfallend und beharrt darauf, dass ihr dies zustehe, da ihre Begleitperson gleichzeitig auch ihre Betreuerin sei und sie (die Pink-Blonde) einen Behindertenausweis habe. Ihre Erzählung lässt den Justizmitarbeiter weiterhin kalt, bis schließlich Jani eingreifen muss und das Zusammensitzen in der ersten Reihe ausnahmsweise gestattet. Kurz darauf wird die Pink-Blonde aus dem Saal heraus ermahnt, ihre dunkle Mütze abzusetzen. Mit sichtbarem Widerwillen folgt sie der Aufforderung, wodurch ihre pinke Mähne erst richtig zur Geltung kommt.


Jani gestikuliert noch, dass der Pressevertreter mit dunklem Pullover seinen Joghurtbecher einpacken soll.


Fotoaufnahmen vor und nach dem ersten Teil der Verhandlung sind nicht explizit untersagt, nur während der Verhandlung darf nichts mitgeschnitten oder fotografiert werden. Diesen Fehler beging jedoch Felix W. Zimmermann von LTO (Legal Tribune Online), wofür er, kurz nachdem der Vorsitzende die Pause eingeläutet hatte, vom Justizpersonal schroff angegangen wird. Sein Foto, das er wenige Augenblicke vor der Verhandlungspause aufgenommen hatte, sollte gelöscht werden. Die Justiz möchte selbst festlegen, wann und wie sie ein gutes Bild abgibt. Diese Kontrolle lässt sie sich nicht nehmen.


Im Nachhinein empfinde ich Zimmermann als arroganten, eingebildeten Fatzken.


Wer keinen Presseausweis vorweisen kann, darf keine digitalen Mitschriften (z.B. auf dem Laptop) anfertigen. Während der Verhandlung wird die Person vor mir ermahnt und darauf hingewiesen, dass nur Papier und Bleistift erlaubt seien. Bleistift (!) Warum das? Ganz einfach: Die Justiz will es der Öffentlichkeit so schwer wie möglich machen, Berichte anzufertigen. Bleistifte sind unpraktisch, unhandlich, und Mitschriften gelingen weniger gut. Das Schreiben geht langsamer und mühseliger, was von der Justiz auch gewollt ist. Ohne es direkt auszusprechen, erschwert die Justiz der Saalöffentlichkeit gezielt das Anfertigen von Prozessmitschriften. Die Motivation der Justiz ist klar: Möglichst wenige sollen erfahren, was sich en detail in den Gerichtssälen ereignet.


Ich nehme die Sitze mit warmbrauner Polsterung wahr, und finde sie toll, weil das Material zwar aus Stoff besteht, aber angenehm geglättet ist, sodass Bewegungen nicht "hängen bleiben". Wir alle kennen das: Wenn wir länger auf einem Stuhl sitzen, ändern wir hin und wieder unsere Position. Mal rutschen wir etwas nach unten und schlagen die Beine übereinander, dann richten wir uns wieder auf. Mit diesem Material, das ich erleben durfte, gelingt der Positionswechsel mühelos, ohne dass man gestoppt wird. Beim Ankauf dieses Mobiliars hat also definitiv jemand mitgedacht.


Die Lichtszenerie (Ausleuchtung) im Saal 142 gefällt mir.


Zu den Verteidigern: Dass sie die Richterschaft mit "hohes Gericht" anreden, finde ich affig. Außerdem gendern sie, was mir Ohrenschmerzen bereitet. Der Angeklagte tritt in dunkelblauer, leicht hell abgesetzter, gestreifter Kleidung auf, was mich an eine Straftracht oder ein Hemd aus der Waschküche erinnert. Semsrott hat später das letzte Wort. Er meint, dass der Saal 142, ein Hochsicherheitssaal für Personen, die schwere oder schwerste Straftaten begangen haben, ein unpassender Ort für diese Verhandlung sei.


Die Verhandlungspause tritt ein. Draußen, auf dem normalen Gang, beginnt die Pink-Blonde plötzlich, mit Lisa Jani zu diskutieren. Weder ich, noch vermutlich Lisa Jani, verstehen, worum es ihr eigentlich geht. Sie spricht so laut und fordernd, dass es selbst mir irgendwann zu bunt wird. Während Lisa Jani bereits abwinkt und weitergeht, wende ich mich der Pink-Blonden zu und bitte sie, nicht so lautstark und vor allem ohne erkennbaren Grund herumzupoltern. Schließlich hätte sie damit nichts erreicht. Ob sie keine gesunde Selbstwahrnehmung hat, frage ich sie. Da wird sie zur Furie, rollt näher an mich heran und belehrt mich, dass ich mich gefälligst rauszuhalten habe. Nö! :-)


Ich wende mich ab und gehe zur Cafeteria. Der Weg dorthin? Nun ja, eine Qual. Schlecht ausgeschildert, und dreimal muss ich nachfragen. Beim dritten Mal treffe ich auf zwei Frauen, die im Kriminalgericht arbeiten. Ich vergewissere mich, ob ich wirklich in die 5. Etage muss und ob ich auf dem richtigen Weg bin. Die eine antwortet freundlich, die andere schaut unfreundlich – wofür ich sie gleich selbst ermahne.


An der großen Kaffeemaschine, die alle möglichen Kaffeevariationen zubereitet, fällt mir auf, dass der Karamellsirup als einziger nicht von Monin stammt. Die anderen Sorten (darunter Vanilleflavour) hingegen schon. Da Karamell generell beliebter ist und häufiger verwendet wird, könnte es eine Kostenfrage sein. Dass jedoch der Auftraggeber des Betreibers des Cafés gerade bei diesem Punkt so knausrig ist, stört mich. Auch der Karamellsirup sollte von Monin bezogen werden, da er schlichtweg den besten Geschmack garantiert.


Im Foyer taucht plötzlich die Pink-Blonde neben mir auf, offensichtlich innerlich geladen. Meinen Namen soll ich ihr sagen. Na, garantiert nicht. Mehrfach behelligt sie mich mit der Aufforderung, ihr meinen Namen mitzuteilen. Ist gut jetzt – ich möchte nicht mit Ihnen reden. Kurzer Prozess.


Lisa Jani macht auf mich keinen souveränen Eindruck, sie wirkt entweder gestresst, genervt oder beides gleichzeitig. Für eine Pressesprecherin eines so großen Kriminalgerichts ist das kein angemessenes, repräsentatives Verhalten. Die Journalisten hat sie verzogen – sie tanzen ihr mit großen Joghurtbechern auf der Nase herum. Für den Mann im dunkelblauen Pullover gab es deshalb sogar noch eine zweite Unterredung.


Den Vogel abgeschossen hat Staatsanwalt Reiner Krüger, Abt. 235, dessen Büro nur wenige Meter vom Zugang für Öffentlichkeit und Presse zu Saal 142 entfernt liegt. Während sich die 35 Zuhörer und Pressevertreter auf dem Flur rege unterhalten, poltert Krüger plötzlich aus seinem Büro und richtet sich lautstark an die Anwesenden. Jani bekommt alles mit und wirkt dabei völlig hilflos und überfordert. Krüger brüllt über den gesamten Flur, dass er Justizpersonal hinzurufen und alle rausschmeißen werde, sollte nicht sofort Ruhe einkehren. Dies sei ein Gericht, und hier habe Ruhe zu herrschen. Krüger hat tatsächlich das Wort „rausschmeißen“ verwendet. Nach seiner wortstarken Ansage, im roten Pullover/Pollunder, verschwindet er wieder in seinem Büro, knallt die Tür zu und schließt ab. Auch nach dem Urteil blieb die Tür verschlossen.


Mich zieht es zurück nach Westend, wo meine Seele endlich wieder zur Ruhe kommen kann. Dieser neuerliche Ausflug in die Menschheit hat mir gereicht. Es war zwar interessant, aber auch voller Spannungen und Konflikte. 


Ein Rätsel bleibt mir das goldene Viereck auf einem der Fenster in den Gerichtsgängen, das ich nicht aufklären konnte. Vielleicht finde ich demnächst heraus, was das sein soll. Hübsch anzusehen ist es allemal.






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